Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen
sagt Frau Heinsohn. Als ich heute Morgen reingekommen bin, durch die Tür, sagt Frau Heinsohn: »Also, Henning, was hast du denn angestellt?« und hat sich die Hände auf den Mund gelegt und sie wieder runtergenommen und auf ihren Schoß gelegt, wo die immer liegen wie zwei dicke tote Fische, und dann hat sie gesagt »Also, du siehst ja aus wie ein Verbrecher.«
Da hab ich genickt und von den anderen hat keiner was gesagt und ich hab mich einfach hingesetzt an den Tisch und dann hat Sören mir schon alles erklärt, der arbeitet in Haus Hirte Heim für gestörte Kinder, er ist der Zivi, so heißt das. Er hat erklärt, was wir heute machen sollen in der Tagesgruppe. Lebkuchen zusammenkleben, Häuser zum Beispiel oder was wir wollen. Logischerweise, das ist ein Trick, man soll bauen, was man will, und sie denken, man verrät aus Versehen was, was man gar nicht sagen wollte, also man ist so am Bauen, was man Lust hat und sagt damit aus Versehen was, so machen die das, Frau Heinsohn und Herr Kornberger, da muss man aufpassen.
Ich hab den kleinen Jungen auf dem Schulweg zurück getroffen, der kleine Junge lief da alleine rum und ich hab einfach gesagt »Ej«, und er hat geguckt und ich auch und dann hab ich gesagt »Komm mal mit«, und er ist mitgekommen, und wir sind gelaufen. Dann wollte er nicht weiter, am Ende der Straße, aber ich hab gesagt »Dann hau ich dir so lange ins Gesicht, bis du aus beiden Augen rausblutest.« Dann ist der kleine Junge mitgekommen. Wir waren eigentlich ganz freundlich miteinander.
»Man ist so lange wütend, bis man sich beruhigt hat«, sage ich. Das sagt mein Vater immer. Also nicht genau das, aber das ist so, wie mein Vater es immer sagt. Er hat mir versprochen, dass er mir das erklärt, wenn ich groß bin, »wie man immer die richtige Antwort gibt«, aber ich bin ja nicht blöd wie drei Reihen Feldsalat, Salat kann nämlich nicht denken, weil Salat kein Gehirn hat, und ich weiß auch selbst, wie das geht. Es ist überhaupt nicht kompliziert, auch wenn Papa so guckt und dicke Augen macht. »Das Prinzip, das erkläre ich dir, wenn du groß bist«, sagt Papa immer und ich schnaufe, damit er schnallt, dass ichs geschnallt hab, sein oberkluges Prinzip.
Frau Heinsohn guckt genervt. »Lass das, Henning, fang nicht wieder damit an«, sagt sie, »du sollst mir vernünftige Antworten geben, du willst doch keinen Ärger haben, oder?«
»Nein, Frau Heinsohn, keinen Ärger haben«, sage ich.
»Und auch keinen Ärger machen?«
»Und auch keinen Ärger machen«, sage ich.
»Warum?«
»Weil alles auf einen zurückkommt«, sage ich. Wenn man sich zu blöd anstellt, denke ich noch, aber das denke ich nur, das sage ich nicht, man muss immer etwas mitdenken, das man nicht verrät, niemandem, sonst wissen sie ja alles und das geht nicht.
Frau Heinsohn nickt und guckt auf ihren Block. So funktioniert das, Frau Heinsohn und Herr Kornberger wollen in die Gedanken gucken und in Haus Hirte Heim für gestörte Kinder muss man seine Gedanken verstecken, so geht das hier.
»Es hat keine Anzeichen gegeben.« Das haben alle gesagt, meine Eltern, wie sie mich hergebracht haben, »Wir sind eine gute Familie, es hat keine Anzeichen gegeben.« Und auch meine Lehrerin, sagt meine Mama, und Oma kanns nicht fassen. Keine Anzeichen. »Irgendwann ist immer das erste Mal«, sagt Sören, der Zivi, so heißt das, und zuckt die Schultern dazu. Das macht Sören immer gleich. Jeder hat so seine Sätze und auch Bewegungen, wem ist das schon aufgefallen, außer mir eigentlich? Alle benutzen immer die gleichen Sätze, manchmal, und Bewegungen auch, hej.
Das wusste ich gar nicht, wie ich hier angekommen bin, dass der Manuel heißt. Wir haben ja fast nicht geredet, also jedenfalls nicht mit Namen. Aber sie haben mir gesagt, wie der kleine Junge heißt, Manuel, hier in Haus Hirte Heim für gestörte Kinder. Frau Heinsohn und Herr Kornberger haben mir das gesagt und mir Fotos gezeigt von dem kleinen Jungen, Manuel, wie wir so zusammen im Sprechzimmer geredet haben. Und Herr Kornberger, der zwinkert immer und zieht zum Lachen immer meistens nur eine Seite vom Mund hoch und guckt einem ganz kurz ins Gesicht, vielleicht weil er jünger ist als Frau Heinsohn und kleiner auch. Er sagt »Stell dir mal vor, wie Manuel sich fühlt, stell dir vor, was er fühlt, nach dem, was du gemacht hast«, und ich warte, aber er lächelt nicht, nicht mal mit seinem halben Mund.
»Was ist das für ein Gefühl?«, sagt Frau Heinsohn,
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