Gestohlene Stunden des Glücks (Julia) (German Edition)
Versteck keine Träne vergossen hatte. Damals wusste er noch nicht, dass Fia niemals weinte. Sie behielt ihre Gefühle für sich, erwartete weder Trost noch Zuwendung. Weil es beides in ihrer Familie nicht gab.
Seine Lippen wurden schmal.
Sie mochte es gewöhnt sein, sich abzuschotten, aber bei ihm kam sie damit nicht durch. Diesmal nicht. „Du hast deine Entscheidung getroffen. Jetzt treffe ich meine.“ Er würde sich nicht erweichen lassen, und wenn sie ihn noch so flehend ansah.
„Du hörst von mir. Und komm nicht auf die Idee, dich aus dem Staub zu machen. Es gibt keinen Ort auf der Welt, an dem ich dich und meinen Sohn nicht aufspüren würde.“
„Er ist auch mein Sohn.“
„Was die Sache umso schwieriger macht. Luca ist wohl das Einzige, was unsere beiden Familien gemeinsam haben. Ich melde mich.“
Während das Geräusch des aufheulenden Motors die nächtliche Stille zerriss und der Lamborghini davonbrauste, schaffte Fia es gerade noch rechtzeitig ins Badezimmer. Ihr war so schlecht vor Aufregung, vielleicht auch vor Angst, dass sie sich übergeben musste. Sie hasste es, sich so schwach und verletzlich zu fühlen.
Ab jetzt würde Santo den Ton angeben, wie die Ferraras es immer taten. Und sich dabei von seinem Hass auf ihre Familie leiten lassen. Vielleicht hätte sie an seiner Stelle genauso gehandelt. Sie kannte das Gefühl, ihr Kind beschützen zu wollen.
Verzweifelt schlang sie die Arme um sich. Santo glaubte ihr nicht, dass Luca eine schönere Kindheit hatte als sie. Er hatte sich auf die Fahne geschrieben, seinen Sohn vor den Baracchis zu retten, und dieses Ziel würde er kompromisslos und mit aller Härte verfolgen.
Anstatt in einer friedlichen, liebevollen Umgebung aufzuwachsen, würde Luca von nun an die vergiftete Atmosphäre von Feindseligkeit und Vorurteilen zu spüren bekommen. Er würde in dieser emotional geführten Schlacht zum Spielball beider Parteien werden.
Genau das hatte sie verhindern wollen, als sie diesen steinigen und letztlich aussichtslosen Weg eingeschlagen hatte. Drei Jahre voller Lügen, Stress und Sorge hatte sie auf sich genommen, um ihren Sohn zu beschützen.
„Mama krank.“ Luca stand in der offenen Tür, ein Plüschtier im Arm, das dunkle Haar vom Schlaf zerzaust. Bei seinem Anblick stockte ihr der Atem, denn sein Gesicht im grellen Licht des Badezimmers erinnerte sie mehr denn je an Santo. Dieselben schönen dunklen Augen, dasselbe schwarze Haar. Selbst sein Mund erinnerte an den seines Vaters. Ganz zu schweigen von seiner Dickköpfigkeit …
Früher oder später wäre die Wahrheit ohnehin ans Licht gekommen.
„Komm her. Ich hab dich lieb.“ Sie nahm ihren Sohn in die Arme, küsste ihn aufs Haar und drückte seinen warmen kleinen Körper an sich. „Ich werde immer für dich da sein, und Gina und Ben auch. Wir alle lieben dich. Du wirst nie allein sein.“
Sie umarmte ihn so zärtlich, wie sie selbst nie umarmt worden war. Kein Wunder, dass Santo sich Sorgen um ihn machte. Er konnte ja nicht ahnen, wie hart sie daran gearbeitet hatte, Luca vor einer Kindheit wie der ihren zu bewahren.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, als der Junge sich vertrauensvoll an sie kuschelte. Was hatte sie falsch gemacht, dass ihre Mutter diese tiefe Verbundenheit zu ihr nicht gespürt hatte? Sie wusste nur eins: Nichts und niemand auf der Welt würde sie jemals dazu bringen, ihren Sohn im Stich zu lassen.
Sie würde nicht dulden, dass Santo ihn ihr wegnahm.
Luca, in seliger Unkenntnis der Gefahren, die seine friedliche kleine Welt bedrohten, befreite sich zappelnd aus ihrer Umarmung.
„Bett.“
„Gute Idee“, sagte sie heiser und trug ihn zurück ins Kinderzimmer.
„Mann kommt wieder?“
Ihr Magen zog sich zusammen. „Ja, der Mann kommt wieder.“ Niemand hinderte einen Ferrara daran, sich zu nehmen, was er wollte. Und Santo wollte seinen Sohn.
Sie saß an Lucas Bett, bis er eingeschlafen war. Ihr Herz floss über vor Liebe zu ihm. Sie musste zugeben, dass sie verstand, was in Santo vorging. Die Schuldgefühle, die sie all die Jahre hartnäckig verdrängt hatte, kamen wieder hoch.
Nicht, dass sie ihre Entscheidung bereute, aber sie hatte sich auch nie ganz wohl damit gefühlt. In langen, einsamen Nächten, wenn die Hektik des Alltags sie nicht mehr ablenkte, plagte sie sich manchmal mit einem schlechten Gewissen herum. Auch eine richtige Entscheidung konnte sich grundfalsch anfühlen.
Und dann diese Träume! Träume von einem Leben, das es nie geben
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