Gestohlene Stunden des Glücks (Julia) (German Edition)
wirkte gespenstisch blass im flackernden Kerzenlicht.
„Du hast mir versprochen, die Vergangenheit ruhen zu lassen.“
Ihr Großvater sah sie lange an. „Warum verteidigst du diesen Mann? Warum darf ich kein böses Wort über die Ferraras sagen?“
Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. „Ich will nicht, dass Luca mit diesem alten Feindbild aufwächst. Das ist grauenhaft.“
„Ich hasse die Ferraras.“
„Ich weiß.“ Sie atmete tief durch. Ja, sie wusste Bescheid. Seit sie das erste zarte Flattern in ihrem Bauch gespürt hatte, war kein Tag vergangen, an dem sie nicht daran gedacht hatte. Sie hatte daran gedacht, als sie ihren Sohn zur Welt gebracht und ihm zum ersten Mal in die Augen gesehen hatte. Jeden Abend, wenn sie ihm einen Gutenachtkuss gab, dachte sie daran.
„Dieser Mann ist schuld, wenn du nach meinem Tod allein dastehst. Wer soll dann auf dich aufpassen?“
„Ich sorge schon für Luca und mich.“ Sie wusste, dass ihr Großvater Santo Ferrara die Schuld am Tod ihres Bruders gab. Und dass es sinnlos war, ihn darauf hinzuweisen, dass ihr Bruder nicht einmal auf sich selbst hatte aufpassen können, geschweige denn auf sie. Ihr Bruder war durch seinen eigenen bodenlosen Leichtsinn zu Tode gekommen, nicht durch Santo.
Der alte Mann erhob sich mühsam. „Wenn Ferrara es je wieder wagen sollte, einen Fuß auf mein Grundstück zu setzen …“
„ Nonno!“
„… dann erwarte ich, dass er sich wie ein Mann verhält und für seine Handlungen geradesteht, sonst wird er es bitter bereuen.“
3. KAPITEL
Santo saß im Büro des Ferrara Beach Clubs, das der Hotelmanager in aller Eile für ihn geräumt hatte. Wenn er noch nach einem Grund gesucht hätte, warum dieses Hotel schlechter lief als alle anderen der Kette, dann brauchte er sich nur umzusehen. Chaos und Disziplinlosigkeit, wohin man blickte, von dem wüsten Durcheinander auf dem Schreibtisch bis zu der halb vertrockneten Pflanze auf der Fensterbank.
Scheinbar höhnisch lächelte der Hoteldirektor, umrahmt von Ehefrau und zwei Kindern, von einem großformatigen Porträt an der Wand auf ihn herab.
Eine glückliche sizilianische Familie.
Santo hätte das Bild am liebsten heruntergerissen. Er war kein Träumer, aber war es denn so unrealistisch, zu hoffen, dass auch er eines Tages eine Familie wie diese haben würde? Anscheinend schon.
Ungeduldig sah er auf seine Armbanduhr. Er wusste, sie würde kommen. Nicht aus Fairness, sondern weil sie wusste, dass er sie sonst holen käme.
Reglos starrte er aus dem Fenster, während draußen die Sonne aufging und ihre goldenen Strahlen über das spiegelblanke Meer warf.
Er hatte die Nachricht in aller Frühe abgeschickt, als die meisten Leute noch tief und fest schliefen. Er selbst hatte kein Auge zugetan. Sie vermutlich auch nicht.
Obwohl er todmüde war, arbeitete sein Verstand auf Hochtouren. Er wusste jetzt, was zu tun war. Wenn nur die emotionale Seite nicht so kompliziert gewesen wäre!
Sein Handy zeigte eine Nachricht von seinem Bruder an. Sie bestand aus einem einzigen Satz: Was kann ich für dich tun ?
Bedingungslose Unterstützung. Uneingeschränkte Loyalität. Das war es, was eine Familie ausmachte. Er selbst war beschützt und geliebt im Schoß seiner Familie aufgewachsen, sein Sohn aber hatte seine ersten Lebensjahre in einer Schlangengrube verbracht.
Schweißperlen traten ihm auf die Stirn. Er durfte sich gar nicht ausmalen, wie übel es Luca ergangen sein musste. Wie viel Schaden konnte emotionale Kälte in einer Kinderseele anrichten! Schaudernd erinnerte er sich an die Gerüchte über die brutalen Erziehungsmethoden der Baracchis. Und an die blauen Flecke auf Armen und Beinen, mit denen Fia immer herumgelaufen war.
Das Klopfen an der Tür war so zaghaft, dass er es fast überhörte. Seine Augen verengten sich, sein Adrenalinspiegel schoss in die Höhe.
Doch es war nur eine Serviererin von der Morgenschicht, die Kaffee brachte.
„Grazie.“
Die Kaffeetasse klirrte leise, als die junge Frau sie mit scheuem Blick und zittriger Hand vor ihm abstellte. Die Hotelangestellten hatten allen Grund, ihn zu fürchten. Sie wussten ja nicht, dass seine schlechte Laune derzeit ganz andere Gründe hatte als die Missstände im Hotel.
Kaum war er wieder allein, klopfte es erneut. Das musste sie sein.
Die Tür ging auf, und Fia trat ein. Ihre klaren grünen Augen glitzerten angriffslustig, doch ihre Haut, so zart und durchscheinend wie der Nebelschleier über dem Meer, zeugte
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