Gestohlene Wahrheit
Hauptstadt der USA gab es mehr Geheimnisse und geheime Obsessionen als irgendwo sonst auf der Welt. Und die Möglichkeit, dass eines seiner Geheimnisse auffliegen konnte, bewog ihn dazu, sein klingelndes Handy aufzuklappen. »Was ist?«
»Sie hat in Chicago haltgemacht.«
»Hmm.« Er strich sich mit einer Hand über das Gesicht und sah dann schnell in den Rückspiegel, um sich zu vergewissern, dass er seine Frisur nicht durcheinandergebracht hatte.
Gut. Jedes Haar lag an seinem Platz. Die beiden grauen Streifen an seinen Schläfen waren so makellos wie immer. Natürlich färbte er sie. Mit fünfundfünfzig würden die meisten Männer eine Menge dafür geben, noch einen Schopf dicker dunkelbrauner Haare zu haben, doch in seiner Position bewirkte das Silber, dass er ernst genommen wurde. Es ließ die Leute glauben, er würde über mehr Weisheit verfügen als viele andere.
Er hatte nicht vor, ihnen diese Illusion zu nehmen.
Er besaß die unheimliche Fähigkeit, zu erkennen, was getan werden musste, und es dann auch zu tun, und zwar ohne zu zögern oder zu schwanken. Daher sah er sich als Mann der Tat, der es den Zweiflern dieser Welt überließ, sich um jeden Kleinkram zu kümmern. Ganze Länder konnten an die Macht kommen oder untergehen, bevor einige der Führer der Welt überhaupt erst mit der Rechtschreibprüfung ihrer Dossiers fertig waren.
Ihm war klar geworden, dass sich das schneckenartige Tempo der US-Regierung niemals ändern würde, daher hatte er beschlossen, den einzig möglichen Weg einzuschlagen und sich abseits davon zu bewegen.
Die Ironie seiner Einstellung angesichts seiner Position blieb ihm nicht verborgen, doch sie konnten ruhig weiter debattieren, Reden halten, sich schlau machen und erneut debattieren. Während sich die Räder im Zeitlupentempo drehten, übernahm er es, für Lösungen zu sorgen.
Natürlich gab es auch jene, die das nicht verstehen, und viele, die das gewiss nicht gutheißen würden. Aber wer waren die schon, dass sie über ihn richten wollten? Selbstzufriedene Narren, die gesund und munter in ihren hübschen kleinen Häusern lebten, geschützt vor dem Gestank des Bösen, der wie eine schleimige, dunkle Wolke über einem Großteil der Welt schwebte.
Das waren alles Idioten.
Allerdings mächtige Idioten, die in der Lage waren, das makellose Image, das er sich im Laufe der Jahre skrupellos und mit Bedacht aufgebaut hatte, ins Wanken zu bringen. Wenn alles nach seinen Wünschen lief, würde er jedoch irgendwann im Weißen Haus sitzen.
Er schloss seine Manschetten mit den Manschettenknöpfen aus Elfenbein und Platin und tippte ungeduldig mit einem Finger auf das Lenkrad.
Alisa Morgan erwies sich als Problem. Sie hatte die Dateien; die Frage war nur, ob sie es wusste oder nicht. Grigg Morgan hatte sie ihr gemailt, so viel hatten sie bald nach Morgans Tod herausfinden können. Aber bei der Durchsuchung von Ms Morgans Wohnung und Arbeitsstätte hatte man nichts gefunden, und dies ließ nur noch zwei Möglichkeiten offen: Entweder hatte sie die Dateien bei sich oder sie hatte sie irgendwo versteckt. Die Lösung war für beide Szenarien denkbar einfach, man musste sich die Frau einfach nur schnappen. Sie entführen, durchschütteln und die Dateien an sich bringen. Ein Kinderspiel.
Zumindest hätte es das sein sollen. Dummerweise hatte der Mann, den er darauf angesetzt hatte, ein kleines Problem mit diesem Szenario.
Aldus konnte durch und durch moralische Menschen nicht ausstehen, und der Ex-CIA-Agent Dagan Zoelner hatte sich als genau das herausgestellt. Dummerweise war Zoelner aber auch der Beste in dem, was er tat. Daher hatte Aldus Zoelners Plan genehmigt, Ms Morgan einfach so lange zu beobachten, bis Zoelner einen Weg gefunden hatte, ihr die Informationen abzunehmen, ohne Gewalt anwenden zu müssen.
Zumindest hatte er bei Zoelners Plan eine Zeit lang mitgespielt. Dann war er jedoch ungeduldig geworden …
Jetzt bereute er seine Entscheidung, die Sache ein für alle Mal beenden zu wollen.
Der schiefgelaufene Überfall hatte bewirkt, dass sie nach Chicago geflohen war, was ihn überaus nervte.
Nicht, dass er glaubte, Nathan Weller würde irgendetwas wissen. In diesem Fall wäre Weller bestimmt unter der höllischen Folter dieser Hisbollah-Kämpfer zusammengebrochen, schließlich wusste niemand besser als diese verdammten Libanesen, wie man einen Mann dazu bringt, die Wahrheit zu sagen.
Allerdings war es diesen Hisbollah-Typen auch nicht gelungen, von Grigg Morgan zu
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