Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song
lass uns einen Schritt nach dem anderen machen. Zurzeit erscheinen mir solche Gedanken so dumm wie der Wunsch nach Flügeln.«
»Hast du dir denn nie gewünscht, Flügel zu haben?«
Bera starrte ihn an und begann langsam zu grinsen. »Kannst du etwa Gedanken lesen?«
»Nein.« Karl lachte. »Aber wenn du schon Flügel erwähnst, ist es nicht ganz unwahrscheinlich, dass sie für dich von Bedeutung sind.«
Bera nickte. »Jeden Sommer finden am Rande des Sommermarktes Hanggleiter-Meisterschaften statt. Es ist uns Frauen nicht direkt verboten, daran teilzunehmen …«
»Aber man ermutigt sie auch nicht gerade.«
»Zu riskant«, sagte Bera. »Wir dürfen keine von unseren kostbaren Babymaschinen verlieren und so die Zukunft der Kolonie gefährden.« Am Ende des Satzes schwankte ihre Stimme ein bisschen.
»Du vermisst ihn immer noch, nicht wahr?«, fragte Karl so behutsam wie möglich.
»Baby Palli?« In Beras Gesicht zuckte es. »An jedem einzelnen Tag. Ich wollte ihn nicht, als die Sache damals passiert ist, aber als ich ihn dann hatte …« Sie wischte sich über die Augen und riss sich zusammen. »Oh, Freya! Du versuchst, zur Geburt deines eigenen Kindes nach Hause zu kommen, und ich jammere hier rum. Vermisst du deine Familie?«
»An jedem einzelnen Tag«, sagte Karl. Er verspürte das Bedürfnis, Bera in die Arme zu nehmen und sie fest zu drücken, doch er tat es nicht. Sie hätte die Geste missverstehen können.
Gegen Sonnenuntergang ließ der Wind nach. Sie trabten weiter dahin, bis die Schatten so tief wurden, dass die Pferde zu straucheln drohten. Es war kälter als die Tage zuvor. Karl wusste nicht, ob es daran lag, dass sie sich wieder in größerer Höhe befanden, die tropischen Breitengrade bereits spürbar weiter in südlicher Richtung hinter sich gelassen hatten, oder ob es einfach nur eine besonders kalte Nacht war, aber selbst ihm machte die Kälte zunehmend zu schaffen.
Bera seufzte. »Wir sollten unser Nachtlager für heute hier aufschlagen.«
Als sie aus dem Sattel glitt, bemerkte Karl, wie sehr der Tag sie ausgelaugt hatte. »Wir brauchen ein Feuer«, stellte er fest.
»Wir dürfen keine weiteren Fackeln verschwenden«, widersprach ihm Bera. Ihre Stimme klang dumpf vor Erschöpfung. Sie fütterte die Pferde, und Karl sah, wie sie vor Kälte zitterte. Er konnte ihre Zähne klappern hören.
»Es war ein guter Tag«, sagte er.
»War er das?« Sie starrte ihn an, unverkennbar verwirrt über den abrupten Themenwechsel.
»Die Sonnen haben fast den ganzen Tag über geschienen«, erklärte Karl. »Das war besser für mich, als wenn ich einen Klafter Hammelfleisch gegessen hätte.« Er hatte keine Ahnung, was das für eine Maßeinheit war, aber es hörte sich irgendwie gut an, und Bera schien ihn zu verstehen. »Loki und ich haben unterwegs an etwas gearbeitet. Es wird dir wie ein Zaubertrick erscheinen.« Er sah sich um. »Nicht viel Vegetation oder anderes brennbares Material hier. Wie auch immer, lass uns alles zusammenkratzen, was wir kriegen können.«
Bera breitete die Decken aus. »Wir sollten uns heute Nacht besser zusammenkuscheln. Aber keinen Unfug – mach das Loki klar.«
»Er hat es kapiert«, versicherte Karl, knöpfte seine Hose auf, ließ sie sinken und hockte sich über die improvisierte Feuerstelle.
»Was hast du … oh! Konntest du nicht irgendwo anders kacken?«
»Nein«, sagte Karl. »Dann hätte ich das Zeug hierherschleppen müssen, und ich wollte mir nicht die Hände einsauen.«
»Also scheißt du lieber im wahrsten Sinne des Wortes auf unser Feuer? Warum das denn?«
»Viele primitive Volksstämme benutzen Dung als Brennmaterial.« Karl zog die Hose wieder hoch und massierte seine prall gefüllte, brennende Blase.
Bera starrte ihn entsetzt an. »Ja, aber für gewöhnlich haben sie das Zeug vorher getrocknet, oder?«
»Du hättest mit Begeisterung die vollen Windeln deines Babys gewechselt.« Karl schlenderte zu den Ponys hinüber und hielt nach ein paar Pferdeäpfeln als zusätzlichem Brennstoff Ausschau. »Warum findest du dann das hier abstoßend? Aber wie auch immer, meine Exkremente sind bereits getrocknet. Loki und ich konnten die Nanophyten so umprogrammieren, dass sie die Flüssigkeit reabsorbiert und umgewandelt haben. Jetzt wird mein Haufen wie Spiritus brennen. Wenn ich das häufiger tun würde, könnte ich mir eine Nierenentzündung und wer weiß was sonst noch alles einfangen, aber das ist nun mal eine Notlage.« Er warf die wenigen Pferdeäpfel, die
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