Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song
Punkt.
Beim nächsten Angriff packte Karl den Hünen am Fußgelenk, doch der schaffte es wiederum irgendwie, ihn zu Boden zu werfen. Der Schiedsrichter war bereits bei vier angekommen …
Unter Aufbietung aller Kraft gelang es Karl, den Humanoiden von sich zu schleudern.
Der Riese landete gerade noch innerhalb des Rechtecks, offenbar betäubt durch den Aufprall; jedenfalls blieb er reglos liegen. Karl warf sich über hin.
»Fünf!«, schrie Coeo. »Eins zu eins!«
Karl stemmte sich wieder hoch. Das Geschrei und Gestampfe um ihn herum war so laut, dass es ihm die Trommelfelle zu zerreißen drohte.
Als sie wieder in die Ausgangsstellung gingen, wirkte Karls Gegner immer noch halb betäubt. Karl umklammerte eins seiner Hand- und Fußgelenke, hebelte ihn herum und nagelte den sich windenden Humanoiden mit seinem Gewicht auf dem Boden fest.
»Fünf!«, heulte Coeo auf. »Du bist der Sieger!«
»Du wirst es überleben.« Ragnar klopfte Thorir auf die Schultern.
»Abgefroren«, stöhnte Thorir. »Was für ein idiotisches Pech. Ich hätte schwören können, dass ich die Wasserflasche richtig verschlossen habe.« Er trat gegen einen Stein, der in den Abgrund segelte, und fluchte. »Das verdammte Ding hat die ganze Nacht lang in die Felle getropft.«
Sie befanden sich gut zwei Kilometer unterhalb der Todeszone. Ragnar wusste, dass die Strapazen durch die Auswirkungen des Sauerstoffmangels, kombiniert mit der trügerischen Gewissheit, sich wieder in Sicherheit zu befinden, häufig dazu führten, dass Reisende sich einlullen ließen und unaufmerksam wurden.
»Wenn wir dir den kleinen und den Ringfinger abnehmen, solltest du außer Gefahr sein«, sagte Orn.
»Zum Glück ist es nicht deine Schwerthand«, stellte Ragnar fest.
»Hätte auch schlimmer kommen können.« Arnbjorn hob demonstrativ einen Fuß. Eine Infektion, hervorgerufen durch die kalten und ständig feuchten Socken, hatte ihn einen kleinen Zeh gekostet, was dazu führte, dass er beim Laufen immer wieder das Gleichgewicht verlor. Deshalb war er jetzt gezwungen, auf einem der wenigen verbliebenen Pferde zu reiten, die nicht in die Tiefe gestürzt oder geschlachtet worden waren, um die schwindenden Nahrungsvorräte des Trupps aufzustocken.
»Tu es!«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Der Anblick von Spritzen verursachte bei Ragnar immer Übelkeit, was seine Frau zu ihren Lebzeiten stets amüsiert hatte. »Da bin ich mit einem Mann verheiratet, der überhaupt kein Problem damit hat, einem anderen ein Bein abzuhacken, aber eine kleine Nadel jagt ihm Angst ein«, hatte sie lachend erwidert, als er ihr seine Schwäche gestanden hatte.
Deshalb ließ er den Blick jetzt über die Berge schweifen, während Orn Thorir eine Dosis des kostbaren Penicillins injiziierte, um zu verhindern, dass sich die Infektion in seiner Hand weiter ausbreitete. Kurz darauf ließ ihn Thorirs erstickter Schrei zusammenzucken, der dem dumpfen Schlag von Orns Axt folgte.
Die anderen rollten ihre Felle zusammen, während Orn die medizinische Ausrüstung wieder einpackte. Dann schlangen sie ihr Frühstück hinunter und setzten ihren erbarmungslosen Marsch fort. Sie sprachen kaum, denn jeder Atemzug in der eisigen dünnen Luft war schon für sich allein anstrengend genug.
Ragnar stellte fest, dass es ihm zunehmend schwerer fiel, seine Wut auf Allman aufrechtzuerhalten. Es kostete ihn trotz der kontinuierlich abnehmenden Höhe einfach zu viel Kraft. Er musste sich auf jeden einzelnen Schritt konzentrieren, einen Fuß nach dem anderen heben und senken, immer wieder und wieder. So schleppte sich der Morgen dahin. Die ganze Welt schrumpfte auf einen verschneiten schmalen Pfad zusammen, der sich durch wild zerklüftete, in einen aquamarinfarbenen Himmel ragende Felsnadeln schlängelte.
Alles, was sich weiter als einen Meter rechts und links des Weges entfernt befand, lag bereits jenseits seiner Wahr nehmung.
Und so kam es, dass der Angriff sie wie aus heiterem Himmel traf, obwohl er eigentlich so vorhersagbar wie der nächste Sonnenaufgang gewesen war.
Über der Wüste war der Morgen hereingebrochen. Plötzlich wurde die Stille von einem schweineartigen Quieken durchbrochen.
Bera fuhr kerzengerade von ihrem Nachtlager hoch und blinzelte. »Dauskalas«, murmelte sie. Ihr Atem dampfte in der eiskalten Luft. Sie schirmte ihre Augen mit einer Hand vor dem gleißenden Sonnenlicht ab und spähte zu den fledermausartigen Silhouetten empor, die am Himmel ihre Kreise zogen.
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