Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song
gewesen wäre.
Deshalb verwies sie auf die Pferde, als er sie zum wiederholten Mal fragte, was mit ihr los wäre. Es war nicht einmal direkt gelogen. Das Schicksal der Tiere bedrückte sie wirklich.
Das Verhängnis schlug unerwartet zu.
Es war gegen Mittag. Die Zwillingssonnen standen hoch im Zenit, und trotz der vorgerückten Jahreszeit, der Höhe und des südlichen Breitengrades war es beinahe warm. Karl, der sein Hemd ausgezogen hatte, war in ein leises Gespräch mit Coeo vertieft. Bera döste im Sattel ihres Pferdes vor sich hin.
Plötzlich stürzten Karl und Coeo vornüber.
Grainurs Schrei zerriss die Stille. Der Boden unter ihren Vorderhufen, von Sandurlunds unterwühlt, war eingebrochen.
Bera sprang von Teiturs Rücken, aber sie wusste schon, was sie finden würde, noch bevor ihre Füße den Boden berührten. Die Vorderläufe der Schimmelstute waren gebrochen, und Bera hatte das Gefühl, als würde es ihr das Herz zerreißen. »Es tut mir leid, altes Mädchen«, flüsterte sie mit versagender Stimme. Ihre treue Grainur hatte Besseres verdient, als die letzten Momente ihres Lebens Qualen leiden zu müssen.
Ohne Karl, der ihr Trost zu spenden versuchte, weiter zu beachten, zog sie das Gewehr aus der Satteltasche und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Er wandte sich ab, sie jedoch nicht. Sie hob den Lauf. »Wir sehen uns in Walhalla wieder, treue Gefährtin«, flüsterte sie.
Das Echo des Schusses rollte über die öde Ebene.
Als es verhallt war, ergriff Bera ihr Messer. »Mehr für uns zu essen.« Ihr Lachen klang unecht. »Die Götter wissen, dass wir es brauchen können.«
Karl zog ebenfalls ein Messer und half ihr, den Kadaver des Pferdes zu zerlegen. »Wir können unsere restlichen Vorräte so umpacken, dass sie alle in eine Satteltasche passen«, sagte er.
Bera nickte und leckte sich über die ausgedörrten Lippen. Sie schienen ständig unter Wassermangel zu leiden, ganz egal, wie viele Glamurbaks Coeo auch erwischte, und Bera war sich nicht sicher, ob die Kopfschmerzen, unter denen sie ständig litt, nicht von toxischen Spurenelementen herrührten, die sie mit dem Wasser aus dem Schwanz der geschuppten Kreatur aufnahm. »Wir müssen Grainurs Blut in leere Flaschen abfüllen und so viel davon trinken, wie wir können«, sagte sie.
»Gute Idee«, erwiderte Karl. Nachdem er sämtliche Vorräte in eine Satteltasche umgeladen hatte, nahm er die letzte Fackel und schob sie in den ausgeschlachteten Kadaver der Stute. »Wir sollten ihr ein angemessenes Begräbnis geben.«
»Was?« Bera hob die Augenbrauen. »Nein, keine Zeit. Wir müssen heute noch diese Hügel dort umgehen« – sie deutete auf einen dunkelroten Streifen am Horizont – »und wir sollten so lange wie möglich in Bewegung bleiben.«
»Du reitest Teitur«, sagte Karl. »Coeo und ich können laufen. Seinem Fuß geht es schon wieder besser, die Wunde ist fast völlig verheilt. Lass uns nur noch ein oder zwei Stunden warten. Wir können dafür heute bis in die Nacht hinein gehen.«
»Nein«, widersprach ihm Bera. »Wir brechen sofort auf.«
Karl zögerte einen Moment lang. Dann seufzte er. »Sieh mal, auch wenn wir noch gar nicht so lange unterwegs sind, habe ich die Pferde trotzdem lieb gewonnen, und es scheint mir nicht richtig, Grainur auszuschlachten und ihre Überreste dann einfach so hier zurückzulassen. Ich dachte mir, es wäre ein Zeichen von Respekt, wenn wir eine Weile …« Beras Blick ließ ihn verstummen. »Ja, war ’ne blöde Idee«, murmelte er. »Lass uns gehen.«
Die Vorberge rückten so langsam näher, dass er nicht hätte sagen können, ab wann sie von einer bloßen Ahnung zu etwas Fassbarem wurden.
Coeo humpelte wieder, nachdem eine Glamurbakmutter, die ein Junges führte, mit einem heftigen Seitenhieb ihres Schwanzes auf seine Anwesenheit reagiert hatte.
»Den Angaben des Orakels nach bekommen sie nur selten Nachwuchs«, sagte Bera mit einem Anflug von Genugtuung, während sie die Schürfwunde an Coeos Bein behandelte. »Deshalb wird Mama Glamurbak ihr Baby auch mehrere Jahre lang versorgen. Diese enge Bindung macht sie in der Regel ein bisschen überfürsorglich.«
»Da spricht die Mutter«, kommentierte Karl. »Wie viel Zeit hast du denn wirklich vor dem Orakel gehockt?«
»Nach Meinung der anderen eindeutig zu viel«, erwiderte Bera, ohne aufzublicken.
Karl seufzte. »Bis Coeos Wunde wieder verheilt ist, lassen wir die Glamurbaks in Ruhe. Auch wenn das bedeutet, dass wir uns dann auf unsere
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