Gesucht wird Charity
Sekunden
an.
»Ich verstehe nicht?« sagte
Raymond schließlich.
»Ich auch nicht«, pflichtete
ich bei. »Aber das Mädchen und der Kerl, der bei ihr gewesen ist, müssen
Gedankenleser gewesen sein, die wußten, daß Sie mich engagieren würden, noch
bevor Sie selbst dazu entschlossen waren — und auch, daß Sie Miß Manning
deswegen zu mir schicken würden.«
»Wie sahen die beiden aus?«
fragte Claudia Deane.
»Es war dunkel — das Mädchen
trug eine Perücke — , und den Mann bekam ich überhaupt nicht zu Gesicht.« Ich
trank noch einen Schluck. »Da ist noch was. Die beiden einzigen Hinweise, die
Miß Manning mir in bezug auf Charitys Verschwinden geben konnte, waren ein obskurer Zettel, der in ihrem Zimmer
gefunden wurde und den jemand namens Johnny geschrieben hatte, ein Mensch, von
dem vorher nie die Rede gewesen war, und die Tatsache, daß sie von Mary
Rochesters Schilderung von der Gruppentherapie in der Klapsmühle in Big Sur begeistert gewesen war.«
Raymond strich sich erneut die
Haarsträhne aus seinem Auge. »Und?«
»Wenn Sie also an meiner Stelle
wären, wo würden Sie zuerst nachsehen?«
»In Big Sur ,
glaube ich.«
»Sie haben Recht«, sagte ich
kalt. »Es gibt nämlich keine Möglichkeit, der anderen Spur zu folgen, sie ist
einfach zu verdammt vage.«
»Worauf wollen Sie hinaus, Mr. Holman ?« fragte Claudia Deane mit milder Stimme.
»Ich lasse mich nicht gern wie
ein Trottel behandeln«, sagte ich. »Ich schätze es nicht, wenn Leute versuchen,
mich auszunutzen.«
»Sie glauben, wir nutzen Sie
aus?« grollte Raymond.
»Ich dachte, das hätte ich
bereits kristallklar gemacht«, sagte ich kurz.
»Das stimmt, Liebster«,
murmelte Claudia Deane. »Kristallklar.«
Raymonds verwittertes Gesicht
zog sich ein bißchen zusammen, als er zu seiner Frau hinüberblickte, dann zu
mir, dann wieder zu seiner Frau. Ich erwartete demnächst einen Ballon mit der
Inschrift >Denkt nach< aus seinem Kopf steigen zu sehen.
»Was geschieht also jetzt?«
fragte er schwach.
»Soll ich vielleicht Mr. Holman mal irgendwohin bringen, wo wir allein sind, damit
ich ihm alles erklären kann?« sagte sie mit kehliger Stimme.
Sein Körper sackte ein bißchen
in sich zusammen. »Hältst du das für das Beste, Claudia?« murmelte er.
»Würde ich es sonst
vorschlagen?« Sie war nichts als violettäugige Unschuld. »Was meinen Sie, Sarah?«
»Jemand muß die Sache
erklären«, sagte Sarah Manning trocken. »Vermutlich können Sie von uns das am
besten.«
»Mary...« Claudia Deane
lächelte liebenswürdig ihrer mit gefrorenem Gesicht dasitzenden Schwester zu
»...was hältst du davon?«
»Es ist keine Klapsmühle«,
sagte die farblose Schwester mit gepreßter Stimme.
»Das hieße, Daniela zu beleidigen. Schließlich ist sie eine qualifizierte...«
»Ich weiß, Liebe«, sagte
Claudia liebenswürdig, um sich dem eigenen liebenswürdigen Lächeln anzupassen,
das an den Rändern ein bißchen starr geworden war. »Da ist noch etwas, das ich
Mr. Holman klarmachen wollte.«
Sie stand auf, ging mit
königlicher Anmut auf die Tür zu und blickte zurück. »Kommen Sie, Mr. Holman ?«
»Klar«, sagte ich und stand vom
Sessel auf.
»Nun könnt ihr alle versuchen,
euch zu beruhigen«, sagte sie mit milder Stimme. »Sarah, gießen Sie Earl was zu
trinken ein und versuchen Sie, ihn davon abzuhalten, sich Sorgen zu machen.«
Ich wartete, während sie die
Wohnzimmertür hinter uns schloß, und folgte ihr dann durch die Haustür hinaus
auf die Zufahrt.
»Ich glaube, wir fahren in
Ihrem Wagen, Mr. Holman «, murmelte sie. »Ich kann
später immer noch in einem Taxi heimfahren.«
»Wohin fahren wir?« fragte ich
benommen.
»Zu Ihnen — wohin sonst?«
Die Fahrt dauerte ungefähr zehn
Minuten, während denen Claudia Deane in freundschaftlichem Schweigen neben mir
saß. Ich konzentrierte mich auf die Straße, denn das Nachdenken war plötzlich
so verdammt kompliziert geworden. Nachdem ich sie ins Haus geführt hatte, blieb
sie in der Mitte des Wohnzimmers stehen und sah sich eine Weile um.
»Was möchten Sie zu trinken
haben?« fragte ich.
»Etwas Melancholisches«, sagte
sie. »Wodka auf Eis, eine Spur Limone.« Sie seufzte leise. »Mein ganzes Leben
hätte ich gern allein gewohnt, aber irgendwie ergab sich das nie. Ich meine,
nicht wirklich allein. Immer waren da eine Privatsekretärin und
Hausangestellte, selbst wenn kein Ehemann oder Liebhaber in der Dachkammer
lauerte.«
Ich goß die Drinks ein und
stellte sie auf
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