Gesund durch Meditation
wir unseren aufgewühlten oder beklemmenden Zustand als das zu sehen, was er ist: die gegenwärtige Dynamik unserer
Gedanken, Gefühle und Empfindungen.
Schon dieses augenblickliche Umschalten vom unbewussten Reagieren zur achtsamen Wahrnehmung dessen, was in uns und um uns herum vorgeht, kann der Stressreaktion ihre Macht über uns nehmen. Innerhalb eines Moments eröffnet sich uns eine Wahlmöglichkeit – der Weg in die Stressreaktion steht noch immer offen, ist aber nicht mehr zwingend. Wir müssen nicht im alten Automatismus gefangen bleiben, sondern können aus einer umfassenderen Wahrnehmung des Geschehens heraus die Situation
gestalten.
Oft werden aus der erweiterten Perspektive auch neue Zugangs- und Lösungsmöglichkeiten sichtbar, wie wir es beim Neun-Punkte-Problem erlebt haben.
Wir würden allerdings reichlich viel von uns verlangen, sollten wir nun erwarten, dass wir Körper und Geist durch einen bloßen
Willensakt
beruhigen können oder dass uns der innere Haltungswechsel in stressbetonten Situationen ohne weiteres gelingt und die nötige Geistesgegenwart und Zentriertheit sich quasi aus dem Nichts einstellen, sobald wir sie benötigen. Mit der formalen Meditationsübung trainieren wir aber kontinuierlich Geist und Körper, entwickeln und vertiefen ebenjene Eigenschaften, die uns zu diesem Haltungswechsel befähigen. Nur wenn man laufend den »Muskel« der Achtsamkeit trainiert, kann man hoffen, so viel Gelassenheit und Geistesgegenwart zu entwickeln, dass sie zu starken und verlässlichen Verbündeten werden, wenn es darum geht, mit Stresssituationen gelassener und kreativer umzugehen.
Den Weg des achtsamen Umgangs mit Stress anstatt der Stressreaktion zu wählen bedeutet freilich nicht, dass man niemals mehr automatisch reagieren würde, wenn man sich bedroht fühlt, verängstigt oder wütend ist oder dass man nie wieder Dummheiten begeht oder selbstzerstörerisches Verhalten an den Tag legt. Es bedeutet vielmehr, dass man sich dieser Gefühle und Impulse, sobald sie auftreten, zunehmend bewusst wird. Es hängt von der Intensität des Übens und auch von den jeweiligen Umständen ab, ob Achtsamkeit sich unmittelbar auf den Grad der Erregung auswirkt. Im Allgemeinen jedoch wird die Erregung geringer ausfallen und sich schneller wieder legen, weil wir sie jetzt in einem weiteren Rahmen sehen. In der Abbildung 7 wird das im Kästchen »Achtsamer Umgang mit Stress« durch die im Vergleich zum Kästchen »Stressreaktion« feineren »Ausschläge« angedeutet. Sie stehen für die Summe der Stresshormone sowie der Vorgänge im vegetativen Nervensystem und in den verschiedenen Gehirnregionen (wie präfrontaler Cortex, Amygdala, Hippocampus usw.), die in einem gegebenen Moment an der Verstärkung oder Abschwächung der Stressreaktion beteiligt sind.
In vielen Fällen wird der Grad an emotionaler Erregung und physischer Anspannung der Situation vollkommen angemessen sein, in anderen Fällen unangemessen, schädlich oder gar zerstörerisch. In jedem Fall aber hängt der Umgang mit Anspannung und Erregung davon ab, ob es uns gelingt, der besänftigenden Kraft unseres Gewahrseins zu vertrauen und uns so weit wie möglich von dem Impuls zu lösen, die Dinge persönlich zu nehmen, vor allem dann natürlich, wenn keinerlei Anlass dazu besteht. Manchmal ist das Gefühl des Bedrohtseins mehr der eigenen psychischen Verfassung und der gesamten Lebenssituation als einem äußeren Anlass zuzuschreiben. Betrachtet man die Augenblicke größten Stresses einmal unvoreingenommen und aus einer Art neugieriger Distanz, ist man schon eher in der Lage zu erkennen, wie die eigene verzerrte Perspektive oder ein aus der Vergangenheit stammender Ärger Teil an der Überreaktion hat, die möglicherweise in keinem Verhältnis zu den Umständen steht.
Wenn man in eine stressbelastete Situation mit Achtsamkeit hineingeht, wird die Wirkung davon als so etwas wie ein
Pausieren
des Geschehens spürbar, und es fühlt sich so an, als könne man für einen Moment aus dem Ablauf der Zeit heraustreten oder habe zusätzliche Zeit gewonnen, um sich ein genaueres Bild von der Lage zu machen. Die bewusste Ausrichtung auf den gegenwärtigen Moment, so schwierig sie im Einzelfall auch sein mag, schiebt eine Art Polster zwischen uns und die sich ankündigende Gefühlsaufwallung. Geformt ist dieses Polster aus der rechtzeitigen Wahrnehmung und dem bewussten Erspüren, Zulassen, ja, Gutheißen der ersten körperlichen und mentalen Anzeichen einer
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