Gesund durch Meditation
bevorstehenden Stressreaktion. Indem wir ihrer mit Wohlwollen gewahr werden, schaffen wir uns innerhalb dieser Geschehenspause noch einen weiteren kleinen Freiraum, in dem wir Gelegenheit haben, uns für eine achtsamere und emotional differenziertere Antwortvariante zu entscheiden, die geeignet ist, die volle Wucht der physiologischen Stressreaktion abzufangen oder zumindest zu dämpfen, und uns noch innerhalb dieser »Pause« einen kreativeren Zugang zur Situation gewährt. Obwohl dieser ganze Vorgang, nach der Uhr bemessen, vielleicht nur den Bruchteil einer Sekunde dauert, kann uns der zusätzliche Zeit-»Raum« sehr ausgedehnt, ja zeitlos erscheinen, wodurch die Realität unserer Wahlmöglichkeit erheblich an Kontur gewinnt. Es ist ein mentaler Vorgang, der ein ganzes Bündel an Einsichten freisetzt, die bereits zu besitzen wir so häufig vergessen. Der aktive Umgang mit dem Unverhofften oder Unerwünschten ist freilich eine Fähigkeit, die sich durch Training steigern lässt, vorausgesetzt, wir erinnern uns daran, sie im geeigneten Moment einzusetzen. Dieses Sich-Erinnern wird damit selbst zu einem grundlegend wichtigen Teil der Übung.
Viele Dinge, auf die man früher wie auf Knopfdruck reagiert hat, führen irgendwann zu keiner spürbaren Erregung mehr. Sie werden sogar nicht einmal mehr als belastend erfahren; nicht, weil man kapituliert hätte, sich hilflos oder machtlos fühlt, sondern weil man einen neuen Innenraum gewonnen hat, in dem man entspannter und selbstsicherer sein kann. Auf diese Weise mit einer Stresssituation umgehen zu können ist eine ausgesprochen ermutigende Erfahrung, bei der es gelingt, die Harmonie von Körper und Geist zu wahren und zu vertiefen oder, anders ausgedrückt, auch in schwierigen Situationen in seiner
Mitte
zu bleiben. Hier geht es nicht um romantische Verklärungen. Vielmehr handelt es sich um harte Arbeit, bei der wir immer wieder an unsere Grenzen kommen und trotz aller guten Vorsätze immer wieder in unsere Automatismen zurückfallen werden. Das ist normal und selbst wesentlicher Teil der Übung. Die Pflege der Achtsamkeit ist ein fortlaufender Prozess, in dem vermeintliche Rückschläge keine sind, sondern wertvolle Hinweise, solange wir bereit sind, allem gegenüber, was in unserem Leben eintreten mag, offen zu bleiben. Dann wird auch das, was wir für Rückschläge halten, zu Wasser auf unseren Mühlen.
Im Alltag pflegen wir den achtsamen Umgang mit Stress auf dieselbe Weise wie die Achtsamkeit in der formalen Meditationsübung: indem wir uns Augenblick für Augenblick über die Atmung im Körper und im Gewahrsein selbst zentrieren. Wenn uns aber etwas aus der Bahn geworfen hat oder wenn wir in Affekt geraten und spüren, dass die Kampf-oder-Flucht-Reaktion einsetzt, richten wir die Aufmerksamkeit auf diejenigen Bereiche des Körpers, in denen wir die Auswirkungen zu spüren bekommen, also die gerunzelte Stirn, die zusammengebissenen Zähne, die verspannten Schultern, das Herzklopfen in der Brust oder das flaue Gefühl im Magen. Versuchen Sie, sich der aufsteigenden Angst, Wut oder Empörung bewusst zu werden, und achten Sie darauf, in welchen Bereichen Ihres Körpers die Gefühle spürbar werden. Diese »Lokalisierung« der Gefühle ist höchst aufschlussreich. In einem solchen Moment können Sie sich auch selbst gut zureden mit Sätzen wie: »Dies ist die Stresssituation, also meine Gelegenheit zum Üben. Jetzt ist der Moment, um zu atmen und in meine Mitte zurückzufinden.« Die Achtsamkeit schafft die Voraussetzung, um jetzt, genau in diesem Moment, angemessen zu reagieren. Wird sie rechtzeitig eingesetzt, können Sie eine Stressreaktion abfangen, bevor sie ihre ganze Wucht entwickelt, und sie in einen kreativeren Umgang mit der Situation verwandeln.
Natürlich erfordert es Übung, einer Stressreaktion in flagranti habhaft zu werden. Das braucht Sie aber nicht zu beunruhigen. Wie den meisten Menschen wird es auch Ihnen an Gelegenheiten zum Üben nicht mangeln. Wenn Sie willens sind, ihnen mit Bewusstheit zu begegnen, bieten alle Stresssituationen die Chance, das »Verwandeln« zu üben. Es wird Ihnen mit Sicherheit nicht
jedes Mal
gelingen, und das wäre auch eine unrealistische Erwartung. Wahrscheinlich werden Sie noch oft genug den Ereignissen hinterherhinken, weil Sie die ersten Anzeichen der Stressreaktion übersehen haben. Aber allein schon indem Sie sich an die Möglichkeit erinnern, Momente innerer oder äußerer Bedrängnis in eine weitere
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