Gevatter Tod
schwiegen die meiste Zeit über. Ysabell löste den einen Arm von Morts Taille und beobachtete, wie ihre Finger in allen acht Farben des Regenbogens glühten. Dünne Strahlbahnen wanden sich an den Ellenbogen hin und her, reichten von ihren Haarspitzen herab.
Mort lenkte das Pferd tiefer und hinterließ eine wallende, viele Meilen lange Wolke.
»Jetzt kann kein Zweifel mehr daran bestehen, daß ich verrückt bin«, sagte er.
»Wieso?«
»Ich habe da unten gerade einen Elefanten gesehen«, ächzte Mort. »He, dort vorn glühen die Lichter von Sto Lat!«
Ysabell blickte ihm über die Schulter und bemerkte ein mattes Schimmern am Horizont.
»Wieviel Zeit bleibt uns noch?« fragte sie nervös.
»Keine Ahnung. Vielleicht nur ein paar Minuten.«
»Mort, ich habe dich noch nicht gefragt, was…«
»Ja?«
»Was willst du tun, wenn wir den Palast erreichen?«
»Ich. weiß es nicht«, erwiderte Mort. »Ich hatte gehofft, bis dahin fiele mir etwas ein.«
»Und hat sich deine Hoffnung erfüllt?«
»Nein. Aber noch ist es nicht soweit. Vielleicht hilft uns Alberts Zauberformel. Und ich…«
Mort brach entsetzt ab, als er die Kuppel der Realität sah, die sich wie eine langsam schrumpfende Qualle über dem Schloß wölbte. Nach einer Weile erklang Ysabells Stimme.
»Nun, ich glaube, es ist fast soweit. Was hast du jetzt vor?«
»Halt dich fest!«
Binky segelte durch die zerschmetterten Tore des Hofes und zog einen Funkenschweif hinter sich her, als er über das Kopfsteinpflaster flog. Einige Sekunden später landete er und setzte mit einem weiten Sprung durch die aufgebrochene Tür des großen Saals. Hinter der Pforte ragte die perlmuttene Wand der Grenzfläche auf, und die beiden Reiter spürten ein kaltes Prickeln, als sie das trübe Glühen durchdrangen.
Mort gewann einen schemenhaften Eindruck von Keli, Schneidgut und einigen hochgewachsenen, recht kräftigen Männern, die hastig zur Seite wichen. Er erkannte den Herzog, zog sein Schwert und schwang sich aus dem Sattel, als Binky schnaufend stehenblieb.
»Rühr die Prinzessin nicht an!« rief er! »Es würde dich den Kopf kosten!«
»Ein beeindruckender Auftritt«, bemerkte der Herzog und nahm die eigene Klinge zur Hand. »Und auch sehr närrisch. Ich…«
Er brach ab. Seine Augen trübten sich. Er taumelte nach vorn. Schneidgut ließ einen schweren silbernen Kerzenhalter sinken und begegnete Mort mit einem entschuldigenden Lächeln.
Mort wandte sich den übrigen Männern zu, und das blaue Feuer von Tods Schwert knisterte drohend.
»Wer möchte sich mir entgegenstellen?« knurrte er. Die Komplizen des Herzogs wichen zurück, wandten sich eilends um, flohen – und verschwanden, als sie die Grenzfläche passierten. Jenseits davon gab es auch keine Würdenträger. In der realen Realität war der große Saal dunkel und leer.
Keli, Schneidgut und die beiden Neuankömmlinge standen unter einer Kuppel, die rasch kleiner wurde.
Mort trat auf den Magier zu.
»Irgendwelche Vorschläge?« fragte er. »Ich habe eine Zauberformel mitgebracht, die…«
»Kommt überhaupt nicht in Frage. Wenn ich es hier drin mit einer magischen Beschwörung versuche, fegt sie uns das Gehirn aus dem Schädel. Diese Wirklichkeit ist zu klein, um derartigen Belastungen standzuhalten.«
Mort ließ sich auf die Überbleibsel des Altars sinken, fühlte sich leer und ausgehöhlt. Einige Sekunden lang beobachtete er, wie die zischende Grenzfläche weiterhin näher kam. Ich überlebe sie wahrscheinlich, dachte er. Und ebenso Ysabell. Der Schneidgut, wie wir ihn hier sehen, wird den Wechsel in die andere Realität nicht überstehen, aber jener andere Zauberer, der in der Mauergasse wohnt, hat nichts zu befürchten. Was Keli betrifft…
»Setzt mir nun jemand die Krone aufs Haupt oder nicht?« fragte sie scharf. »Ich will als Königin sterben. Es wäre schrecklich, als Bürgerliche tot zu sein!«
Mort musterte sie verwirrt und versuchte sich daran zu erinnern, was sie meinte. Ysabell kramte im Schutt hinter dem Altar und hob schließlich einen verbeulten goldenen Reif hoch, an dem Diamanten glänzten.
»Ist sie das hier?« erkundigte sie sich.
»Die Krone, ja«, bestätigte Keli, den Tränen nahe. »Aber wir brauchen einen Priester.«
Mort seufzte schwer.
»Schneidgut, wenn dies unsere eigene Realität ist, so können wir sie doch unseren Wünschen anpassen, oder?«
»Was hast du vor?«
»Du bist jetzt ein Priester. Such dir einen Gott aus, dem du dienen möchtest.«
Der Zauberer
Weitere Kostenlose Bücher