Gevatter Tod
beobachtete die fernen Dächer und lächelte schief. »Vielleicht sollte ich ein wenig Zeit sparen und einfach abspringen.«
»Mein Vater ist recht nett, wenn man ihn besser kennenlernt«, behauptete Ysabell.
»Tatsächlich? Glaubst du wirklich, er gibt uns die Gelegenheit, freundlich mit ihm zu plaudern?«
»Haltet euch fest!« rief Mort. »Jetzt überfliegen wir gleich…«
Etwas Schwarzes raste vom Himmel herab und verschluckte sie.
Die Grenzfläche erzitterte unsicher, jetzt so leer wie das Bankkonto eines Bettlers. Eine Zeitlang zögerte die Kuppel, bevor sie die metaphorischen Achseln zuckte und weiterhin schrumpfte.
Die vordere Tür schwang auf, und Ysabell sah nach draußen.
»Es ist niemand da«, sagte sie. »Ihr könnt jetzt reinkommen.«
Ihre drei Begleiter betraten den Flur. Schneidgut blieb kurz auf der Fußmatte stehen und streifte gewissenhaft den Schmutz von den Schuhen ab.
»Kein besonders geräumiges Haus«, stellte Keli kritisch fest.
»Innen ist es weitaus größer«, erwiderte Mort und wandte sich an Ysabell. »Hast du überall nachgesehen?«
»Ich kann nicht einmal Albert finden«, sagte sie. »Und bisher hat er das Anwesen noch nie verlassen.«
Sie hüstelte und erinnerte sich an ihre Pflichten als Gastgeberin.
»Möchte jemand etwas zu trinken?« fragte sie. Keli überhörte ihre Worte.
»Ich habe wenigstens ein Schloß erwartet«, murmelte sie. »Gewaltig und schwarz, mit hohen dunklen Türmen. Ohne einen – Schirmständer.«
»Es steht immerhin eine Sense drin«, stellte Schneidgut fest.
»Ich schlage vor, wir gehen ins Arbeitszimmer und verschnaufen ein wenig«, warf Ysabell rasch ein und öffnete die schwarze Friestür.
Schneidgut und Keli traten über die Schwelle und stritten sich leise. Ysabell griff nach Morts Arm.
»Was tun wir jetzt?« flüsterte sie ihm zu. »Mein Vater wird ziemlich erbost sein, wenn er sie hier findet.«
»Mir fällt schon etwas ein«, gab Mort zurück. »Ich schreibe die Biographien neu oder so was in der Art.« Er lächelte schief. »Sei unbesorgt! Ich überlege mir etwas.«
Hinter ihnen fiel die Tür ins Schloß. Mort wandte sich um und sah in das grinsende Gesicht Alberts.
Der große Ledersessel auf der anderen Seite des Schreibtischs drehte sich langsam, und Tod musterte Mort, hob die knöchernen Hände und preßte die Fingerspitzen aneinander. Als er ganz sicher sein konnte, daß er die ungeteilte, entsetzte Aufmerksamkeit der vier jungen Leute genoß, sagte er:
DU SOLLTEST GLEICH DAMIT ANFANGEN, DIR ETWAS ZU ÜBERLEGEN.
Die finstere Gestalt stand auf und schien zu wachsen, während es im Zimmer dunkler wurde.
VERSUCH GAR NICHT ERST, DICH ZU ENTSCHULDIGEN, fügte Tod hinzu.
Keli verbarg das Gesicht an Schneidguts massiger Brust.
ICH BIN ZURÜCK. UND ICH BIN ERZÜRNT.
»Herr, ich…«, begann Mort.
SCHWEIG, donnerte Tod und richtete den weißen Zeigefinger auf Keli. Sie drehte sich zu ihm um, weil ihr Körper keinen Ungehorsam wagte.
Tod streckte die Hand aus und berührte ihr Kinn. Mort tastete nach seinem Schwert.
IST DIES DAS GESICHT, DAS TAUSEND SCHIFFE IN SEE STECHEN LIESS UND DIE DACHLOSEN TÜRME VON PSEUDOPOLIS VERBRANNTE? fragte der Knochenmann. Keli starrte wie gebannt auf zwei karmesinrote Flecken, die viele Meilen tief in den leeren Augenhöhlen funkelten.
»Äh, entschuldige bitte«, warf Schneidgut ein und nahm respektvoll den Hut ab.
JA? fragte Tod zerstreut.
»Ich bin sicher, du meinst ein anderes Gesicht, Herr.«
WIE HEISST DU?
»Schneidgut, Herr. Ich bin Zauberer, Herr.«
ICH BIN ZAUBERER, HERR, wiederholte Tod spöttisch und zischte abfällig. HALT DIE KLAPPE, ZAUBERER.
»Sehr wohl, Herr.« Schneidgut trat zurück.
Tod drehte sich zu Ysabell um.
ICH ERWARTE EINE ERKLÄRUNG, TOCHTER. WARUM HAST DU DEM NARREN DORT GEHOLFEN?
Ysabell machte einen nervösen Knicks.
»Ich – ich liebe ihn, Vater. Glaube ich wenigstens.«
»Im Ernst?« fragte Mort verblüfft. »Davon hast du mir nie etwas erzählt!«
»Nun, die ganze Zeit über blieb uns nur wenig Zeit, und es ergab sich keine geeignete Gelegenheit«, erwiderte Ysabell. »Vater, er wollte nicht…«
SEI STILL.
Ysabell senkte den Kopf. »Ja, Vater.«
Tod schritt um den Schreibtisch herum und blieb direkt vor Mort stehen. Eine Zeitlang starrte er ihn stumm an.
Dann schlug er ganz plötzlich zu und traf seinen Lehrling mitten im Gesicht. Mort verlor das Gleichgewicht und fiel zu Boden.
ICH BRINGE DICH IN MEINEM HEIM UNTER, sagte er. ICH BILDE DICH
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