Gevatter Tod
»Geradezu philosophisch. Wie heißt die junge Frau auf der anderen Seite der Wand?«
»Sie…« Mort schluckte. »Ihren Namen kenne ich nicht.« Er faßte sich wieder. »Vorausgesetzt, es gibt überhaupt ein solches Mädchen. In diesem Zusammenhang bin ich mir ganz und gar nicht sicher.«
»Na schön«, sagte Schneidgut, nahm erneut einen Schluck und schauderte. »In Ordnung. Wie man durch Wände gehen kann. Ich muß einige Nachforschungen anstellen, und sie könnten ziemlich teuer werden.«
Mort griff behutsam nach dem Beutel und entnahm ihm eine kleine Goldmünze.
»Als Vorschuß«, sagte er und legte die winzige Scheibe auf den Tisch.
Schneidgut nahm sie so behutsam zur Hand, als rechne er damit, daß sie explodieren und sich ganz einfach in Luft auflösen könnte. Er betrachtete sie eingehend.
»Eine solche Münze habe ich noch nie zuvor gesehen«, sagte er nach einer Weile. »Was hat es mit den komischen Schnörkeln auf sich?«
»Sie besteht aus Gold, oder?« erwiderte Mort. »Ich meine, du brauchst sie nicht zu behalten…«
»O ja, sicher, es ist Gold«, versicherte Schneidgut hastig. »Daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Ich habe mich nur gefragt, woher es stammt.«
»Du würdest mir bestimmt nicht glauben, wenn ich dir eine entsprechende Auskunft gäbe«, entgegnete Mort. »Übrigens: Wann geht hier die Sonne unter?«
»Meistens dann, wenn's dunkel wird«, sagte Schneidgut, starrte weiterhin auf die Münze und trank. »Ungefähr jetzt.«
Mort sah aus dem Fenster. Graues Zwielicht kroch über die Straße.
»Ich komme bald wieder«, versprach er und hielt auf die Tür zu. Der Zauberer rief ihm etwas nach, aber Mort achtete gar nicht darauf und stürmte über die Straße.
Panik regte sich in ihm. Tod wartete vierzig Meilen entfernt. Bestimmt mußte er damit rechnen, gehörig ausgeschimpft zu werden. Bestimmt…
AH, DA BIST DU JA, JUNGE.
Tod trat hinter einer kleinen Bude hervor, in der unter anderem Sülzaale angeboten wurden. In den knöchernen Händen hielt er einen Teller mit Schnecken.
DER ESSIG IST BESONDERS LECKER. MÖCHTEST DU MAL PROBIEREN, JUNGE?
Nun, der Knochenmann mochte sich an einem vierzig Meilen entfernten Ort aufhalten, aber natürlich konnte er gleichzeitig auch hier sein…
Unterdessen drehte Schneidgut in seinem chaotischen Zimmer die Goldmünze hin und her, murmelte immer wieder ›durch Wände gehen‹ und trank. Unglücklicherweise warf er erst einen Blick aufs Etikett, als die Flasche nur noch Luft enthielt. Die Aufschrift lautete: ›Oma Wetterwachs' Trank Dher Leidenschaft, gebrauht nach dem berühmten Resept Macht mühde Männer munnter. Nur ain klainer (!) Löffel am Ahbend‹.
»Ich ganz allein?« fragte Mort.
JA. ICH HABE GROSSES VERTRAUEN ZU DIR.
»Donnerwetter!«
Der Vorschlag verdrängte alles andere aus Morts Bewußtsein, und es überraschte ihn, daß er überhaupt keine Unsicherheit verspürte. Während der vergangenen Wochen hatte er recht viele Sterbende gesehen, und solche Erlebnisse verloren ihr Potential an Schrecken und Entsetzen, wenn man wußte, daß man anschließend mit den Toten sprechen konnte. Die meisten von ihnen waren erleichtert, nur einige wenige verärgert. Und alle begrüßten einige aufmunternde Worte.
WAS MEINST DU? SCHAFFST DU ES?
»Ja, Herr. Ja. Ich glaube schon.«
DAS IST DIE RICHTIGE EINSTELLUNG. ICH HABE BINKY AN DER PFERDETRÄNKE HINTER DER ECKE DORT ZURÜCKGELASSEN. REITE MIT IHM NACH HAUSE, WENN DU FERTIG BIST.
»Du bleibst hier, Herr?«
Tod sah über die Straße, und in seinen Augenhöhlen blitzte es.
ICH MÖCHTE EINEN KLEINEN SPAZIERGANG MACHEN, sagte er geheimnisvoll. ICH FÜHLE MICH IRGENDWIE SELTSAM. DIE FRISCHE LUFT TUT MIR BESTIMMT GUT. Er schien sich an etwas zu erinnern, griff unter seinen Umgang und holte drei Sanduhren hervor.
ALLES EINFACHE JOBS, brummte er. VIEL SPASS.
Er drehte sich um, summte leise vor sich hin und ging fort.
»Ah, danke!« rief ihm Mort nach. Er hob die Lebensuhren ins letzte verblassende Licht des Tages und stellte fest, daß die obere Hälfte eines gläsernen Behälters nur noch wenige Körner enthielt.
»Trage ich jetzt die Verantwortung?« fragte er, bekam jedoch keine Antwort. Tod war in einer Seitengasse verschwunden.
Binky begrüßte ihn mit einem leisen, freundlichen Wiehern. Mort stieg auf, und das Herz klopfte ihm lauter, als er an die PFLICHT dachte. Die Hände bewegten sich von ganz allein, zogen die Sense aus der Scheide und berührten (vorsichtig, ganz
Weitere Kostenlose Bücher