Gevatter Tod
Knieweich.«
»Knieweich?« wiederholte Mort und überhörte ein mehrstimmiges leises Kichern.
»Ja, Euer Lordschaft. Wird aus Äpfeln hergestellt. Äh, hauptsächlich aus Äpfeln.«
Mort dachte an Vitamine und dergleichen. »Na schön«, sagte er. »Dann möchte ich einen Krug Knieweich.« Er griff in die Tasche und holte den von Tod stammenden Beutel hervor, der noch immer viele Goldmünzen enthielt. In der jähen Stille war das Klimpern der kleinen gelben Scheiben so laut wie das Dröhnen der legendären Messingglocken von Leshp – man kann sie bei stürmischen Nächten hören, wenn die Strömungen ihren Klang vom Meeresboden herauftragen.
»Alle anwesenden Herren sind herzlich eingeladen«, fügte Mort hinzu.
Der laute dankbare Jubel überwältigte ihn so sehr, daß er einen wichtigen Punkt übersah: Seine neuen Freunde bekamen ihre Getränke in fingerhutkleinen Gläsern, während der Wirt ihm einen großen hölzernen Becher reichte.
Man erzählt sich viele Geschichten über Knieweich. Angeblich destilliert man jene Spezialität in entlegenen Sümpfen, und das ebenso uralte wie geheime Rezept wird vom betrunkenen Vater an den beschwipsten Sohn weitergereicht. Nun, die Behauptungen, Ratten, Schlangenköpfe und Schrot spielten bei der Herstellung eine wichtige Rolle, sind natürlich absurd. Wer von toten Schafen berichtet, leidet entweder an einem ordentlichen Kater oder hat Entzugserscheinungen. Was die Erzählungen betrifft, bei denen es um Hosenknöpfe geht, ist ebenfalls eine gehörige Portion Skepsis angebracht. Es kann jedoch kein Zweifel daran bestehen, daß man einen Kontakt zwischen Knieweich und Metall vermeiden sollte. Als der Wirt ungeniert zu wenig Wechselgeld herausgab und einen Stapel Kupfermünzen über die Theke schob, berührten sie mehrere Tropfen von dem Zeug und begannen sofort zu dampfen.
Mort schnupperte an seinem Becher und nippte vorsichtig. Die Flüssigkeit schmeckte nicht nur nach Äpfeln, sondern auch nach herbstlicher Morgendämmerung und irgend etwas anderem, das man für gewöhnlich unter einem Brennholzstapel vermutete. Er wollte nicht respektlos erscheinen und trank einen großen Schluck.
Die Bauern beobachteten ihn aufmerksam und hielten unwillkürlich den Atem an.
Mort glaubte, daß man eine Reaktion von ihm erwartete.
»Nicht übel«, sagte er. »Recht erfrischend.« Er nahm noch einen Schluck. »An den würzigen Geschmack muß man sich erst gewöhnen, aber bestimmt ist es die Mühe wert.«
Hier und dort ließ sich ein verblüfftes Murmeln vernehmen.
»Der Kerl hat sein Knieweich mit Wasser gestreckt, jawoll.«
»Nein, nein! Du weißt doch, was passiert, wenn man einen Tropfen Wasser hineinfallen läßt.«
Der Wirt achtete nicht auf die kritischen Stimmen. »Es schmeckt Euer Lordschaft?« wandte er sich an Mort und benutzte dabei den gleichen Tonfall, in dem der heilige Georg nach seiner Rückkehr gefragt wurde: ›Du hast was getötet?‹
»Ist ziemlich scharf«, sagte Mort. »Und auch recht streng.«
»Entschuldigt bitte, Euer Lordschaft«, entgegnete der Wirt und nahm Mort vorsichtig den Becher aus der Hand. Er roch daran und wischte sich Tränen aus den Augen.
»Grrgh«, ächzte er. »Ich habe mich nicht geirrt. Knieweich, ganz eindeutig.«
Er musterte den Jungen, und so etwas wie zurückhaltende Anerkennung stahl sich in seine Mimik. Der Neuankömmling hatte den Becher schon fast bis zur Hälfte geleert, und erstaunlicherweise stand er noch immer aufrecht – und lebte. Der Wirt reichte das hölzerne Gefäß zurück wie eine Trophäe, die dem Sieger eines unerhört schwierigen Wettkampfs zustand. Als Mort noch einen großen Schluck trank, zuckten einige Zuschauer zusammen. Der korpulente Mann hinter dem Tresen fragte sich, woraus die Zähne seines jungen Gastes bestanden – offenbar aus dem gleichen widerstandsfähigen Material wie der Magen.
»Du bist nicht zufällig ein Zauberer?« fragte er und ließ das ›Euer Lordschaft‹ weg.
»Tut mir leid, nein. Sollte ich?«
Eigentlich nicht, dachte der Wirt. Er trägt keinen spitzen Hut mit Monden und Sternen, und an den Fingern fehlen ihm nikotingelbe Flecken. Erneut starrte er auf den Becher hinab.
Irgend etwas ging nicht mit rechten Dingen zu. Und der Junge… Er wirkte zunehmend seltsamer. Er sah nicht so aus, wie man es erwartete. Er schien…
… wirklicher zu sein als normale Menschen.
Lächerlich! dachte der Wirt. Die Theke ist wirklich. Der Boden ist wirklich. Meine Kunden sind so wirklich, wie
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