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Gevatter Tod

Gevatter Tod

Titel: Gevatter Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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der Sense an und meinte, er sei ein wenig blaß.
    Die Sonne der Scheibenwelt näherte sich dem Horizont, als Binky müde durch den Himmel von Sto Lat trabte. Mort senkte den Kopf und sah die Grenze der Realität. Sie wölbte sich direkt unter ihm, eine dünne Sichel aus matt glänzendem silbrigen Dunst. Er begriff nicht sofort, worum es sich handelte, ahnte nur, daß die seltsame Erscheinung in irgendeinem unheilvollen Zusammenhang mit ihm stand.
    Er zügelte das Pferd, und der Hengst glitt dem Boden entgegen, landete in unmittelbarer Nähe des sonderbaren Funkelns. Es bewegte sich mit der Geschwindigkeit eines gemütlichen Spaziergängers und zischte, während es geisterhaft über die Eintönigkeit rauhreifbedeckter Kohlköpfe glitt und an zugefrorenen Entwässerungsgräben entlangkroch.
    Es war eine kalte Nacht, jene Art von Nacht, in der Frost und Nebel um die Vorherrschaft kämpfen und alle Geräusche gedämpft sind. Binkys Atem kondensierte zu dichten weißen Wolken; er wieherte leise, fast entschuldigend, und scharrte mit den Hufen.
    Mort stieg ab und näherte sich der Grenzfläche. Gespenstische Schatten huschten darüber hinweg, veränderten ihre Form, erzitterten und verschwanden.
    Nach kurzer Suche fand er einen Stock und schob ihn in die substanzlose Wand hinein. Eigentümliche Wellenmuster entstanden und rollten davon.
    Aus den Augenwinkeln bemerkte Mort eine Bewegung und blickte auf. Eine schwarze Eule patrouillierte über den Gräben und suchte nach kleinen fiependen Tieren.
    Funken sprühten, als sie an den schimmernden Wall prallte, und es folgte ein eulenförmiges Kräuseln, das allmählich in die Breite wuchs und sich schließlich mit dem allgemeinen Wabern vereinte.
    Innerhalb weniger Sekunden verblaßte das bunte Glühen. Mort spähte durch die transparente Trennschicht, doch auf der anderen Seite konnte er nirgends eine Eule sehen. Er rätselte darüber nach, als einige Meter entfernt eine Art lautloses Plätschern erklang: Der Vogel kehrte ungerührt ins Diesseits zurück und flog wieder über die Felder.
    Mort nahm seinen ganzen Mut zusammen und trat durch die Barriere, die gar keine war. Es prickelte.
    Einige Sekunden später folgte ihm Binky. Der Hengst rollte verzweifelt mit den Augen, und faserige Ausläufer der Grenzfläche tasteten ihm nach den Hufen. Das Pferd bäumte sich mit wogender Mähne auf und schüttelte sich wie ein Hund, um festhaftende Dunstfetzen abzustreifen. Es bedachte den Jungen mit einem flehentlichen Blick.
    Mort griff nach dem Zaumzeug, klopfte Binky beruhigend auf die Schnauze und holte ein klebriges, schmuddeliges Zuckerstück hervor. Er wußte, daß er sich in der Gegenwart eines bedeutungsvollen Etwas befand, doch er begriff noch nicht, welche Konsequenzen sich daraus ergeben mochten. Seine Erkenntnisse beschränkten sich zunächst auf dunkle Ahnungen.
    Vor ihm erstreckte sich eine Straße und führte an großen taubenetzten Weiden vorbei. Mort stieg auf, ritt über das Feld und erreichte kurz darauf das tröpfelnde Zwielicht unter den Bäumen.
    In der Ferne sah er die Lichter von Sto Helit – eigentlich kaum mehr als eine kleine Stadt, ein an urbanem Größenwahn leidendes Dorf –, und das schwache Glühen am Rande seines Blickfeldes mußte von Sto Lat stammen. Mort beobachtete es voller Sehnsucht.
    Die Barriere bereitete ihm Unbehagen: Sie kroch über das Feld hinter den Bäumen.
    Mort wollte mit Binky gen Himmel aufsteigen, als er in unmittelbarer Nähe einen hellen, warmen und verlockenden Schein bemerkte – er fiel aus den Fenstern eines großen Gebäudes, das etwas abseits der Straße stand. Vermutlich war es ohnehin ein fröhliches Licht, aber wenn man es mit der Umgebung und Morts derzeitiger Stimmung verglich, bekam es geradezu ekstatische Qualitäten.
    Als er näher heranritt, sah er Schatten, die sich hinter den Fenstern bewegten, und singende Stimmen erklangen. Eine Schenke, schloß Mort, voller Leute, die sich vergnügten. Was Spaß, Freude und – allgemein gesprochen – Zeitvertreib betraf, waren jene Bauern sicher nicht sehr wählerisch. Wer sich tagaus tagein um Kohl kümmern mußte, der empfand alles andere als Erleichterung.
    Menschen befanden sich in dem Gasthaus, und sie beschäftigten sich mit unkomplizierten menschlichen Dingen: Sie gossen sich einen hinter die Binde und vergaßen allmählich die Texte ihrer Lieder.
    Bisher hatte Mort kein Heimweh verspürt, denn er mußte immerzu an wichtigere Dinge denken. Jetzt fühlte er es zum

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