Gevatter Tod
man es sich nur wünschen kann. Und doch… Während Mort vor dem Tresen stand, verlegen dreinblickte und gelegentlich an einer Flüssigkeit nippte, in der man Löffel auflösen konnte, gewann er ein zusätzliches Maß an Wirklichkeit, eine neue Dimension der Wirklichkeit. Sein Haar war haariger, seiner Kleidung kleidiger. Und die Stiefel stellten den Inbegriff stiefelicher Existenz dar. Es bereitete einem Kopfschmerzen, ihn nur anzusehen.
Kurz darauf stellte Mort seine menschliche Natur unter Beweis. Der Becher entfiel zitternden Fingern und rollte über die granitenen Fliesen – einige ölige Knieweichtropfen fraßen sich sofort heißhungrig in den Stein. Der Junge deutete an die gegenüberliegende Wand, klappte den Mund auf und gab einen lautlosen Schrei von sich.
Die Stammgäste seufzten und setzten ihre Gespräche fort, erleichtert darüber, daß nun wieder alles seine Ordnung hatte. Ihrer Meinung nach verhielt sich Mort jetzt völlig normal. Der Wirt war dankbar für die Rehabilitierung seines Getränks, beugte sich vor und klopfte Mort kameradschaftlich auf die Schulter.
»Schon gut«, sagte er. »Manchmal haut einen das Zeug richtig um. Mach dir nichts draus! Ein mehrwöchiger Brummschädel, und dann hast du's überstanden. Ein kleines Gläschen Knieweich bringt dich wieder auf die Beine.«
Tatsächlich rät jeder Wirt, der etwas auf sich hält, den Kater in Alkohol zu ersäufen – wobei er in der Regel hinzufügt, der eigene Alkohol sei besonders geeignet. Doch wer versucht, eine verhaßte Miezekatze in einem Faß mit Knieweich zu ertränken, muß mit Überraschungen rechnen, zum Beispiel damit, die Haut von den Fingern zu verlieren.
Mort deutete weiterhin an die Wand und brachte mit zittriger Stimme hervor: »Kannst du es nicht sehen? Es kommt durch die Mauer! Direkt durch die Mauer!«
»Nach dem ersten Glas Knieweich kommen viele Dinge durch die Mauer. Meistens sind sie grün und glänzen feucht.«
»Der Nebel! Hörst du das Zischen?«
»Ein zischender Nebel, hm?« Der Wirt blickte an die Wand, die abgesehen von einigen Spinnweben völlig leer und überhaupt nicht geheimnisvoll war. Die Aufregung in Morts Stimme weckte Besorgnis in ihm. Er hätte normale Schuppenmonster bevorzugt – sie ließen sich mit einem zweiten Glas vertreiben.
»Das Etwas kriecht durchs Zimmer! Fühlst du überhaupt nichts?«
Die übrigen Gäste wechselten kurze Blicke – Morts Hysterie erfüllte sie mit Unbehagen. Zwei oder drei Bauern gaben später zu, daß sie tatsächlich etwas gespürt hatten, eine Art kaltes Prickeln. Vielleicht lag es an Verdauungsstörungen.
Mort taumelte, hielt sich krampfhaft an der Theke fest und schauderte.
»Nun…«, begann der Wirt. »Ein Scherz ist ein Scherz, aber…«
»Eben hattest du ein grünes Hemd an!«
Der Wirt sah an sich herab.
»Eben?« wiederholte er erschrocken. Seine rechte Hand setzte sich von ganz allein in Bewegung, aber bevor sie die heimliche Reise zum Schwarzdornknüppel beenden konnte, sprang Mort plötzlich vor und packte den dicken Mann an der Schürze.
»Du hast ein grünes Hemd, nicht wahr?« stieß er hervor. »Ich kann mich deutlich daran erinnern, auch an die kleinen gelben Knöpfe!«
»Äh, ja«, bestätigte der Wirt und versuchte, stolz die Schultern zu straffen. »Ich bin ein vermögender Mann und habe gleich zwei Hemden. Das grüne ist erst in der nächsten Woche dran.« Er wollte gar nicht erfahren, woher Mort von den gelben Knöpfen wußte.
Der Junge ließ ihn los und wirbelte herum.
»Die Leute nehmen andere Plätze ein als vorhin! Wo ist der Mann, der am Kamin saß? Es hat sich alles verändert!«
Er lief nach draußen, und kurz darauf vernahm der Wirt ein dumpfes Stöhnen. Nach einigen Sekunden kehrte Mort zurück und wandte sich an die entsetzten Gäste.
»Wer hat das Schild ausgetauscht? Jemand hat das Schild geändert!«
Der Wirt befeuchtete sich nervös die Lippen.
»Nach dem Tod des alten Königs, meinst du?« fragte er.
Als er Morts Blick bemerkte, lief es ihm kalt über den Rücken. In den dunklen Augen des Jungen flackerte Grauen.
»Den Namen! Ich meine den Namen!«
»Nun, äh, es ist immer der gleiche Name gewesen«, erwiderte der Wirt und wandte sich fast flehentlich an die Bauern. »Das stimmt doch, oder? Meine Schenke hieß und heißt Zum Kopf des Herzogs, nicht wahr?«
Die Männer murmelten zustimmend.
Mort starrte sie der Reihe nach an und bebte am ganzen Leib. Schließlich drehte er sich um und stürmte nach
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