Gevatter Tod
Tupfer hinter die Ohren beschränken. Skateboards gehörten zu den noch unerfundenen Erfindungen auf der Scheibenwelt; andernfalls wäre Kelis Wanderung durch den Mittelgang ungewöhnlich schnell gewesen.
»Vielleicht nicht«, erwiderte der Zauberer zerknirscht. »Es könnte knapp werden.«
Keli musterte sein Abbild im Spiegel.
»Wie knapp?«
»Äh, sehr.«
»Soll das heißen, das Etwas könne uns erreichen, wenn die Zeremonie beginnt?«
»Nun, äh, möglicherweise schon vorher«, erwiderte Schneidgut kummervoll.
Keli trommelte mit den Fingern auf den Tischrand – ansonsten blieb alles still. Der Zauberer rechnete damit, daß sie in Tränen ausbrach oder den Spiegel zerschmetterte. Statt dessen fragte sie:
»Woher willst du das wissen?«
Schneidgut überlegte, ob er einfach erwidern sollte: Wir Zauberer wissen über solche Dinge Bescheid. Er entschied sich schließlich dagegen. Bei seiner letzten so lautenden Antwort hatte ihn Keli mit einer Axt bedroht.
»Ich habe einen der Wächter nach der Schenke gefragt, die Mort erwähnte«, sagte er. »Aufgrund seiner Angaben berechnete ich die Strecke, die es zurücklegen muß. Mort erzählte, es bewege sich mit der Geschwindigkeit eines Spaziergängers. Nun, ich nehme an, daß Tods Lehrling bei diesem Vergleich an sich selbst dachte, und daher versuchte ich einzuschätzen, mit welchem Tempo er…«
»So einfach ist das? Du hast überhaupt keine Magie verwendet?«
»Nein, nur gesunden Menschenverstand. Auf lange Sicht gesehen halte ich ihn für zuverlässiger.«
Keli beugte sich vor und klopfte ihm auf die Hand.
»Armer alter Schneidgut!« murmelte sie.
»Ich bin erst zwanzig, Euer Hoheit.«
Keli stand auf und betrat das Ankleidezimmer. Eine Prinzessin lernt schon recht früh, älter zu sein als alle, die einen geringeren Rang einnehmen.
»Ja, ich schätze, es muß auch junge Zauberer geben«, sagte sie über die Schulter hinweg. »Man stellt sie sich nur immer alt vor. Warum eigentlich?«
»Die Greisenhaftigkeit gehört zu unserem Berufsstand, verehrtes Fräulein«, entgegnete Schneidgut, rollte mit den Augen und hörte das leise Knistern von Seide.
»Aus welchem Grund hast du beschlossen, Zauberer zu werden?« Kelis Stimme klang gedämpft – offenbar zog sie sich gerade etwas über den Kopf.
»Nun, man kann zu Hause arbeiten und braucht sich nicht übermäßig anzustrengen«, erwiderte Schneidgut. »Außerdem wollte ich mir über den Sinn des Lebens klarwerden.«
»Ist dir das gelungen?«
»Nein.« Schneidguts Konversationstalente ließen zu wünschen übrig. Sonst wäre er sicher nicht so gedankenlos gewesen, folgende Worte zu formulieren: »Und warum hast du beschlossen, Prinzessin zu werden?«
»Um ganz ehrlich zu sein«, antwortete Keli nach einem nachdenklichen Schweigen, das einige Sekunden dauerte, »diese Entscheidung wurde mir abgenommen.«
»Bitte entschuldige. Ich…«
»Es ist eine Tradition meiner Familie, königlich zu sein. Wahrscheinlich trifft das auch auf Magier zu. Dein Vater war bestimmt ein Zauberer, oder?«
Schneidgut knirschte mit den Zähnen. »Äh, nein«, sagte er. »Mit Magie hatte er nur wenig zu tun. Überhaupt nichts, wenn du's genau wissen willst.«
Er ahnte die nächste Frage der Prinzessin, und da kam sie auch schon, mit der Pünktlichkeit des Sonnenuntergangs, begleitet von einer Mischung aus Heiterkeit und Faszination.
»Ach? Stimmt es, daß es Zauberern verboten ist, sich mit F…«
»Nun, wenn das alles ist…«, warf Schneidgut hastig ein. »Ich sollte jetzt besser gehen. Falls mich jemand sprechen möchte: Das Knallen der Explosionen weist den Weg. Ich… Gnnnh!«
Keli kehrte aus dem Ankleideraum zurück.
Nun, Damenkleider spielten in Schneidguts Vorstellungswelt eine nur untergeordnete Rolle – wenn er an Frauen dachte, malte seine Phantasie meistens Bilder, die völlig auf Produkte der Textilindustrie verzichteten –, doch der Anblick, der sich ihm nun darbot, war im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend. Ganz gleich, welcher Modeschöpfer für dieses Gewand die Verantwortung trug: Offenbar hatte der Betreffende einem kreativen Wahn nachgegeben, ohne den Tarifurlaub der Schneiderinnen zu berücksichtigen. Eine bereits recht umfangreiche Seidenbasis wurde um zahllose Spitzen erweitert, denen man Ungeziefer und mehrere Dutzend blasse Perlen hinzufügte. Anschließend stärkte man die Ärmel und stattete sie mit Borten, Troddeln, silbrigen Filigranarbeiten und anderen Verzierungen aus, bevor man
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