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Gevatter Tod

Gevatter Tod

Titel: Gevatter Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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erneut nach Seide griff und noch einmal von vorn begann.
    Schneidgut empfand es als höchst erstaunlich, was man mit mehreren Unzen Schwermetall, einigen verärgerten Mollusken, sieben oder acht toten Nagetieren und um Insektenpanzer gewickelten Zwirn anstellen konnte. Das Gewand wurde nicht in dem Sinne getragen, sondern eher bewohnt. Und da die weit herabreichenden Volants und Rüschen nicht auf Rädern ruhten, mußte der Zauberer annehmen, daß sich in Kelis Leib weitaus mehr Muskeln verbargen, als er bisher vermutet hatte.
    »Na, wie sehe ich aus?« fragte die Prinzessin und drehte sich langsam. »Dieses Kleid wurde von meiner Mutter getragen. Und meiner Großmutter. Und meiner Urgroßmutter.«
    »Was, von allen gleichzeitig?« erwiderte Schneidgut. Er war durchaus bereit, so etwas für möglich zu halten. Wie ist sie hineingelangt? überlegte er. Vielleicht gibt es hinten eine Tür…
    »Ein Erbstück der Familie. Das Mieder ist mit echten Diamanten besetzt.«
    »Das Mieder?«
    »Hier.«
    »Oh.« Schneidgut schauderte. »Sehr beeindruckend«, kommentierte er, als er die Sprache wiederfand. »Hältst du das Gewand nicht für ein wenig… gereift?«
    »Es ist königlich.«
    »Ja, aber sicher kannst du dich darin nicht besonders schnell bewegen, oder?«
    »Es liegt mir fern, irgendeinen Wettlauf zu beginnen. Eine Königin muß Würde ausstrahlen.« Einmal mehr schob sie das Kinn vor, und Kelis Züge gewannen wieder bemerkenswerte Ähnlichkeit mit denen ihres kriegerischen Vorfahren – der zeit seines Lebens großen Wert auf flinke Schnelligkeit gelegt und Würde mit der Klinge seines Schwertes verwechselt hatte.
    Schneidgut breitete die Arme aus.
    »Na schön«, sagte er. »In Ordnung. Wir geben uns alle Mühe. Ich hoffe nur, daß Mort irgend etwas einfällt.«
    »Es ist schwer, einem Geist zu vertrauen«, murmelte Keli. »Er geht durch Wände!«
    »Ich habe darüber nachgedacht«, verkündete der Zauberer. »Eine rätselhafte Sache, nicht wahr? Mort geht nur dann durch irgendwelche Dinge, wenn er nicht daran denkt. Ich glaube, es ist eine Berufskrankheit.«
    »Eine was?«
    »Gestern abend war ich mir fast sicher. Er wird allmählich wirklich.«
    »Wir alle sind wirklich! Ich meine, du bist es ganz bestimmt. Bei mir sind Schicksal und Geschichte etwas anderer Ansicht.«
    »Aber Mort wird sehr wirklich. Geradezu extrem wirklich. So wirklich wie Tod. Und wirklicher kann man nicht werden. Nein, ganz und gar nicht.«
     
    »Bist du sicher?« fragte Albert argwöhnisch.
    »Natürlich«, erwiderte Ysabell: »Rechne nach, wenn du unbedingt willst.«
    Albert starrte auf das große Buch, und Unsicherheit vertrieb ihm alle anderen mimischen Aspekte aus dem Gesicht.
    »Nun, vielleicht hast du recht«, sagte er unbeholfen und notierte die beiden Namen auf einem Zettel. »Wie dem auch sei: Es gibt eine Möglichkeit, Gewißheit zu erlangen.«
    Er zog die oberste Schublade des Schreibtischs auf und holte einen großen eisernen Ring hervor. Nur ein Schlüssel baumelte daran.
    WAS GESCHIEHT JETZT? fragte Mort.
    »Wir müssen die Lebensuhren holen«, erklärte Albert. »Komm.«
    »Mort!« entfuhr es Ysabell.
    »Ja?«
    »Was du eben gesagt hast…« Sie unterbrach sich und fügte nach einigen Sekunden hinzu: »Ach, nichts. Es klang irgendwie – seltsam.«
    »Ich habe nur gefragt, was jetzt geschieht«, entgegnete Mort.
    »Ja, aber… Schon gut.«
    Albert schob sich an ihnen vorbei, stakte wie eine zweibeinige Spinne durch den Flur und blieb vor der Tür stehen, die immer verriegelt blieb. Der Schlüssel paßte genau ins Schloß. Kurze Zeit später schwang die Pforte auf, ohne daß die Angeln quietschten. Es ließ sich nur das ätherische Zischen stillerer Stille vernehmen.
    Dem das schier ohrenbetäubende Donnern unablässig rieselnden Sands folgte.
    Mort und Ysabell blieben wie erstarrt auf der Schwelle stehen, während Albert an langen Wänden aus Glas entlangstapfte. Das allgemeine Rauschen erreichte den Körper nicht nur durch die Ohren. Es glitt auch durch Beine und Schädelknochen, füllte das Gehirn, bis es nur noch an jenes allgegenwärtige Geräusch denken konnte, verursacht von Millionen gelebter Leben, die alle ihrer letztendlichen Bestimmung entgegeneilten.
    Mort und das Mädchen an seiner Seite blickten wie gebannt an den langen Gestellen mit den zahllosen Sanduhren entlang, jede von ihnen einzigartig, jede mit einem Namen versehen. Fackeln brannten an den Wänden, und ihr Schein spiegelte sich auf den kleinen

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