Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gevatter Tod

Gevatter Tod

Titel: Gevatter Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
Vom Netzwerk:
kristallenen Behältern wider, wodurch der Eindruck entstand, als funkelten winzige Sterne auf Myriaden Gläsern. Das gegenüberliegende Ende des Zimmers verlor sich in einem endlosen Labyrinth aus hellem Schimmern.
    Mort spürte, wie sich Ysabells Hand fest um seinen Arm schloß. Als sie sprach, klang ihre Stimme gepreßt.
    »Einige Lebensuhren sind so klein, Mort.«
    ICH WEISS.
    Ganz langsam lockerte sie den Griff, wie jemand, der das letzte As auf ein hohes Kartenhaus legt und vorsichtig die Hand zurückzieht, um das Gebäude nicht zum Einsturz zu bringen.
    »Wiederhol das bitte!« hauchte sie.
    »Ich sagte: Ich weiß. Leider kann ich nichts daran ändern. Bist du noch nie hier drin gewesen?«
    »Nein.« Ysabell trat einen Schritt beiseite und bedachte ihn mit einem starren Blick.
    »Diese Kammer ist nicht schlimmer als die Bibliothek«, fügte Mort hinzu, und es wäre ihm beinah gelungen, selbst daran zu glauben. In der Bibliothek las man nur über die verschiedenen Leben, doch in diesem Raum konnte man direkt beobachten, wie sie verstrichen.
    »Warum siehst du mich so an?« fragte er.
    »Ich versuche nur, mich an deine Augenfarbe zu erinnern«, erwiderte sie. »Die Pupillen haben sich nämlich ver…«
    »Ich störe euch beide nur ungern!« rief Albert, um das Tosen des Sands zu übertönen. »Aber wir müssen eine wichtige Aufgabe wahrnehmen. Hier entlang!«
    »Braun«, wandte sich Mort an Ysabell. »Meine Augen sind braun. Warum?«
    »Beeilt euch!«
    »Du solltest Albert besser helfen«, sagte Ysabell. »Er scheint ziemlich nervös zu sein.«
    Mort setzte einen Fuß vor den anderen und versuchte, das wachsende Unbehagen aus sich zu verbannen. Wie benommen ging er über die Fliesen und näherte sich Albert, der ungeduldig auf ihn wartete und mit dem Fuß klopfte.
    »Was soll ich tun?« fragte er.
    »Folg mir einfach!«
    Die Wände des Zimmers wichen zurück, und mehrere Gänge führten an hohen, mit Lebensuhren gefüllten Gestellen vorbei. Hier und dort wurden die Regale von steinern Säulen mit rechteckigen Markierungen unterteilt. Dann und wann warf Albert einen kurzen Blick auf die Schilder, aber die meiste Zeit über marschierte er so zielsicher, als kenne er jeden Winkel des Raums.
    »Gibt es hier für jeden lebenden Menschen ein Glas, Albert?«
    »Ja.«
    »Die Kammer scheint nicht groß genug zu sein.«
    »Hast du schon mal was von m-dimensionaler Topographie gehört?«
    »Äh, nein.«
    Der alte Mann blieb vor einem Gerüst stehen, sah auf den Zettel, suchte in den Regalen und holte eine Lebensuhr hervor, deren obere Hälfte nur noch wenig Sand enthielt.
    »Halt es!« sagte er. »Wenn die Knoten-Berechnungen stimmen, müßte das andere ganz in der Nähe sein. Ah, hier ist es ja.«
    Mort betrachtete die beiden Gläser und drehte sie langsam hin und her. Das eine wies die Verzierungen eines wichtigen Lebens auf, während das zweite eher schlicht wirkte.
    Er las die Namen. Der erste bezog sich offenbar auf einen Adligen irgendwo im Achatenen Reich, während der zweite aus einigen Piktogrammen bestand – eine Schrift, die Mort als Drehwärtiges Klatschianisch erkannte.
    »Jetzt bist du dran«, sagte Albert. »Je eher du mit der Arbeit beginnst, desto schneller bist du fertig. Ich bringe Binky zur Vordertür.«
    »Was hältst du von meinen Augen?« fragte Mort.
    »Soweit ich erkennen kann, ist alles in Ordnung mit ihnen«, erwiderte der alte Mann. »Das Weiße ein bißchen gerötet, die Pupillen blauer als sonst. Sonst fällt mir nichts auf.«
    Ein nachdenklicher Mort folgte ihm zur Tür. Ysabell sah, daß er nach Tods Schwert griff und die Klinge prüfte, indem er wie sein Lehrmeister damit ausholte. Mort lächelte finster, als Donner grollte.
    Als er sich wieder in Bewegung setzte, schnappte Ysabell unwillkürlich nach Luft. Sie kannte diese Gangart. Mort stolzierte.
    »Mort?« flüsterte sie.
    JA?
    »Irgend etwas geschieht mit dir.«
    ICH WEISS, sagte Mort. »Aber ich glaube, ich kann es kontrollieren.«
    Draußen pochten Hufe, und kurz darauf öffnete Albert die Tür. Er trat ins Haus und rieb sich die Hände.
    »Alles klar, Junge, verlier jetzt keine Zeit mehr…«
    Mort schwang das Schwert in Brusthöhe. Irgend etwas knisterte, so als risse feine Seide, und die Klinge bohrte sich dicht neben Alberts Ohr in den Türpfosten.
    AUF DIE KNIE, ALBERTO MALICH.
    Alberts Kinnlade klappte herunter, und die Augen rollten zur Seite, um auf das blaue Schimmert zu starren, von dem ihn nur wenige Zentimeter trennten.

Weitere Kostenlose Bücher