Gewäsch und Gewimmel - Roman
weiterhin. Sie verdiente viel Geld durch raffinierte Immobilientricks. Meine Großtante, das hätte Ihnen sicher gefallen, Herr Scheffer, streute immer, wenn sie erzählte, Witze zwischen die ernsteren Sachen. Jetzt waren es vor allem Lächerlichkeiten, aber auch Plündereien des Militärs bei der Verteidigung der Stadt, die uns später, wenn sie sich als alte Frau erinnerte, zum Kichern und Staunen brachten. Unsere Heldin Isa konnte das alles letzten Endes nicht unterkriegen, nicht die Angst vor Maos Truppen, nicht die nächtlichen Überfälle, nicht einmal das Währungschaos. Darauf war für uns Zuhörer Verlaß. Selbst als Chang Kai-shek vor dem Einzug der roten Truppen nach Formosa geflohen war, versuchte »Queen« Bébé mit ihren Freunden noch weitere Immobiliengeschäfte zu arrangieren.«
»Frau Wäns!« rief Hans, »Lassen Sie Ihre Bébé! Eine einzige Femme fatale reicht und wirkt allein überzeugender!«
Es fiel mir schwer, mich zu zügeln. »Auch Isa mußte nun erfahren, daß eine andere Epoche begonnen hatte. Für die Weiterreise nach Peking, zwei Nächte und drei Tage lang, wurden, immer wieder verzögert, die erforderlichen Papiere verweigert. Es gelang ihr erst nach über 150 Behördengängen in Shanghai, ins kommunistische, bereits im Wiederaufbau begriffene Peking zurückzukehren. Sie durfte dort aber nicht bleiben und wäre, mit einem echten Nervenzusammenbruch und nach der befohlenen Rückkehr, in Shanghai um ein Haar wegen Unpünktlichkeit ins Gefängnis gesteckt worden. Stellen Sie sich das vor, Herr Scheffer. Sie konnte sich nur retten, indem sie, ganz devot, eine schriftliche Entschuldigung für die Schlamperei der Pekinger Visabehörde mit ihrer Unterschrift verfaßte!«
»Hm, unserem Eskimomädchen wird man solche Probleme dahinten bei den Schlitzaugen ja wohl nicht gemacht haben.«
Er sprach das jetzt also ohne Umschweife an! Die Katze war halb aus dem Sack.
Ich tat, als merkte ich es nicht besonders. »Durch die Blockade saßen Tausende Flüchtlinge in Shanghai fest, ohne Perspektive. Die Ausländer um Königin Bébé aber feierten nach wie vor unbeeindruckt die gewohnten Feste. Gleichzeitig nahmen die Kommunisten ihre radikale Volksbildungsarbeit auf, und trotz des Embargos schritten, laut Isa, Außenhandel und Aufbau gut voran. Doch, Isa Fischer, die immer bei ihrem Familiennamen geblieben ist, redete sehr widersprüchlich darüber, ich täusche mich nicht, Herr Scheffer. Sie hatte eben unterschiedliche Erzählstimmungen, auf die kam es an. Dann begann die furchtbare Zeit der erzwungenen öffentlichen Selbstbezichtigungen nach der Parole ›Jagt den Tiger‹, die in der ganzen Welt mit diesen Jahren verbunden werden. Isa hat die Massensündenbekenntnisse, die wie unter Hypnose abliefen, aus nächster Nähe miterlebt, auch die auf Bürofensterscheiben geklebten Beichtregister ganzer Unternehmen und ihrer Angestellten. Und doch, was widerfuhr unserer nicht zu bezwingenden Kämpferin? Sie wurde mit der Leitung einer Gaslehrküche der Shanghaier Gaswerke betraut, die damals noch einer Britischen Gesellschaft gehörten. Dort sollte sie hundert chinesische Gasberaterinnen ausbilden.«
Hier lachte Hans geradezu herzlich: »Die stelle mich mir gerade vor. Hundert kleine verführerische Gasberaterinnen mit Spaltaugen!«
»Vorsicht! Hundert kleine, entschlossene Kommunistinnen, Herr Scheffer. Isa entwarf einen Volksgaskocher. Nicht für die verschuldeten Villenviertel, denen man das Gas sperrte, sondern für die Arbeiterviertel Shanghais. Dann wurde das Werk jedoch als ›volkseigenes‹ von den Chinesen übernommen. Wegen der hohen Besteuerung verloren die Ausländer ihre Häuser, so auch die ›Queen‹. Isa machte in deren letztem Haus eine ›Deutsche Weihnachtsbäckerei‹ auf, sorgte so einen Winter über mit Lebkuchen für den Lebensunterhalt …«
»Kunst der Motive! Eine Biographie zwischen Pfeffernüssenund Gaskocher«, murmelte Hans für sich, vor sich hin. Ich hörte es sehr wohl.
»… und arbeitete dann erfolgreich in einer Firma, wo sie Musterkollektionen chinesischer Stickerei für den Export in alle Welt entwarf. Diese Satanstante! Mitte der Fünfziger wurde sie auch dort wegen Umorganisation des halbstaatlichen Unternehmens höflich entlassen. Über die viele Jahre so leichtsinnige ›Queen Bébé‹, nur einen Augenblick, Herr Scheffer, wegen des Schicksals, Herr Scheffer, brach nun das schwärzeste Unheil herein. Entzug ihres Besitzes als volkseigen und eine
Weitere Kostenlose Bücher