Gewäsch und Gewimmel - Roman
Krebserkrankung. Die vorzüglichen Staatskrankenhäuser lehnten eine Behandlung ab, da Bébé nicht für die chinesische Regierung arbeitete. Ihr verbliebenes Geld setzte sie daran, trotz Steuerschulden ausreisen zu dürfen, und wurde doch im letzten Moment vom Schiff geholt, weil ehemalige Freunde, die jetzt ihre Gläubiger waren, das Ausreisevisum hatten sperren lassen. Sie soll jämmerlich und völlig verarmt zu Weihnachten 1954 am Ort ihrer sicherlich schmarotzerhaften Triumphe zugrunde gegangen sein. Über ihre eigenen Monate im Internierungslager, in das man schließlich alle Ausländer zur Umerziehung steckte, hat die Großtante wenig berichtet. Sie überstand diese Demütigung bis auf einige dauernde gesundheitliche Schädigungen, die ihren späteren gewaltigen Leibesumfang zur Folge hatten, und spann ihre Fäden so genial, daß am Ende ein kleiner Kunsthandel für ihre dann folgenden Jahre in Deutschland dabei herauskam, wo sie hart arbeitete, arrangierte und residierte als schielender, wachsamer Buddha. So habe ich sie erlebt, bis zum Schluß mit dem Hang zum Großartigen und Riskanten. Sie hätte viele Leben führen können, Herr Scheffer, und doch kein prinzipiell anderes. Ihre große Leidenschaft ist die Ferne geblieben, das freie Leben. Keine andere Liebe hätte dagegen auf Dauer ankommen können. So immerhin stellte sie es für uns beschaulichere Nachkommen dar. So hat es sich uns eingeprägt.«
»›Und damit sehen Sie, Herr Scheffer, daß es Menschen gibt‹«, sagte Hans und ahmte gutmütig meine Stimme nach, »›die Nomaden und Abenteurer von Geblüt sind. Sie wechseln ihre Natur nicht, für niemanden‹. Haben Sie mir das alles zum Trost erzählt? Wegen der bösen Kleinen?«
Ich tat, als würde ich ertappt in mich zusammensinken: »Damit Sie sich nicht so bekümmern, Herr Scheffer.«
Und da, zu meinem kleinen und großen Glück am Küchentisch, entdeckte ich sie wieder, die eingekerbten Mundwinkel, die ich so früh hier im Tristanweg in mein Herz geschlossen hatte, während seine Augen grimmig starren wollten.
Wohin aber starren sie jetzt, hier, im Waldcafé? Dorthin, wo Anada vor einem Jahr gesessen hat! Immerzu geht sein Blick zu dem gewissen, jetzt unbesetzten Plastiksessel.
Hans damals in der Küche: »Was sich die Frauen so zusammenflunkern, auch Sie, Frau Wäns!«
Ob er »Frau Wäns« genausogern sagt, wie ich »Herr Scheffer« sage, wenigstens ein bißchen genausogern?
Die beiden Kellner an ihren Feueröfen bemühen sich mit neuem Eifer, die Flammen auflodern zu lassen, denn bisher ist mehr ein rußiges Schwelen aus den Töpfen gekommen, das den langmütigen Gästen, die offenbar alle Humor besitzen, über die Köpfe zieht. Das Personal muß ein entscheidendes Signal erhalten haben. Zwei Fotografen, die dauernd auf die Uhr sehen, postieren sich erwartungsvoll. Da trifft, wenn auch nicht eine Kutsche mit acht Schimmeln, so doch ein sogenannter Riesenschlitten ein, wie man ihn des Witzes halber für Festivitäten mieten kann, und fährt auf dem asphaltierten Weg aus dem Waldesdunkel vor. Sogleich reißen die beiden Feuerofenmänner die Türen auf, springen zurück und beginnen einheizerisch zu klatschen, so daß alle Gäste, auch Hans, der Tränen lacht, und ich, zu applaudieren anfangen, einfach ins Blaue hinein begeistert. Es ist ein Blankojauchzen, das von uns prompt spendiertwird. Die Kellner stoßen sogar Töne wie bei den Slalomläufen im Winter aus, im Fernsehen. Freundlich jubelnd und johlend essen die Familien an den Tischen ihre Kuchenstücke, auch Fritten mit Würsten, weiter.
Die Braut aber, zunächst in eine weiße Wolke gehüllt, entsteigt der Karosse gemessen Bein für Bein. Sie muß das insgesamt sechsmal machen, wegen des sicher mitgeorderten »Blitzlichtgewitters«, verliert aber nicht die Geduld, während die Kellner ihre Aufgabe erfüllt haben und ruckzuck mit normalem Gesichtsausdruck eilig zum etwas vernachlässigten allgemeinen Bedienen übergegangen sind. Als sich die Hochzeitsgäste für den Marsch über den roten Teppich formieren, verfolgt mein König Hans vom Hochmoor jeden Schritt mit großer Zärtlichkeit im Blick, sagt aber: »Eigentlich taktlos, mir ausgerechnet an dieser Stelle mit einer Hochzeit zu kommen!«
Da schreiten sie, die Braut, mager und blond, mit nüchternem Blick an der Seite des Bräutigams, der ein wenig taumelt im engen, vielleicht vom schlankeren Freund geliehenen Anzug. Schöner ist das Gefolge. Keine vermögenden Leute wohl, dafür
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