Gewäsch und Gewimmel - Roman
die Pfannkuchen schleppen), stellen ihn an den Eingang und wiederholen das Ganze mit einem zweiten. Dann rollen sie einen roten Teppich aus, der bis zur Waldstraße reicht, und postieren rotumwundene Bäumchen rechts und links davon. Wird ein großer Herrscher erwartet? Für den Förster oder sogar den Oberbürgermeister wäre es ja wohl zuviel der Ehre und Kasperei. Auch scheinen mir die Kellner ein wenig zu kichern bei ihrem Treiben.
»Ich habe nicht deshalb davon gesprochen, damit Sie sich bekümmern, Frau Wäns.«
Unser geheimes »Sie«! In meiner Verlegenheit, so froh und ratlos war ich, begann ich schnell, als noch schuldige Antwort auf die drei Pariser Schwestern, am Küchentisch von meiner Großtante Isa zu berichten, schnell, schnell, ohne Pause. Weshalb ich es in Wirklichkeit tat, merkte ich erst im Lauf des Erzählens.
Ich wiederholte das Wichtigste über die Schwester, die 1890 geborene Anna Hornberg, Tochter des Geheimen Medizinalrats Prof. Dr. Oskar Fischer. Er wisse ja schon, sie sei das älteste von sechzehn Kindern gewesen, Tochter einer polnischen Gräfin, sechzehn Kinder wie bei der Kaiserin Maria-Theresia, keine Zwillinge, Drillinge oder gar, wie jetzt in Hannover, eineiige Vierlinge darunter, und – er erinnere sich bestimmt – als hochberühmte Altistin Glanz und Legende unserer Familie. Auch ihre herrlichen Kleider seien Objekte dieser Heiligenverehrung gewesen, jedenfalls treulich bis in meine Generation. Drei ihrer Brüder seien im 1. Weltkrieg gefallen, verhungert, erfroren, ein vierter sei als Deserteur erschossen worden. Hier konnte ich mir nicht verkneifen, mit bedeutungsvoller Stimme zu sagen:
»So haben Vaterland und Tod doch noch Vierlinge zustande gebracht.« Hans verzog keine Miene, was mich ein klein wenigenttäuschte, nein, in Wirklichkeit war ich beeindruckt. Er durchschaute ja bloß die kleine Eitelkeit und übersah sie lieber.
Vier Jahre nach der Geburt von Isa im Jahr 1904 habe sich die elegante Großtante Anna mit dem Chirurgen Hornberg verlobt und ihn noch im selben Jahr geheiratet.
»Stellen Sie sich vor, Herr Scheffer« (ich schob das nur ein, um einen Grund zu haben, ihn zu siezen), »stellen Sie sich bitte vor: Sogar auf den Kinderfotos erkennt man gut, daß Isa Fischer, im Unterschied zu allen anderen Geschwistern, schielte. Sie hatte einen Silberblick und soll damit genauso kokettiert haben wie Iris Steinert, die Libelle. Auf den alten Bildern übertreibt das ausgelassene Vögelchen sogar, und macht zusätzliche Faxen mit den Augen. Zwei ihrer Schwestern haben übrigens Selbstmord begangen, nein, nicht ganz, die eine überlebte so schwer verletzt, daß sie es nicht noch mal versuchen konnte. Eine andere ging als Vergewaltigungsopfer der Russen zugrunde. Keines der vielen Kinder, die teils unfreiwillig so unterschiedliche Wege beschritten, ein Gestöber verschiedenster Schicksale, Herr Scheffer, glauben Sie mir, keins starb, kein einziges, bevor es achtzehn war. Unser Mirko ist ja nur fünfzehn geworden.«
Hörte Hans meiner überhastet dargebotenen Familiengeschichte zu? Ja! Er hatte sich zurückgelehnt und sah freundlich an mir vorbei. »Und?« sagte er, als ich zur bescheidenen Überprüfung seiner Aufmerksamkeit schwieg. Das klang zunächst wie eine Aufforderung fortzufahren, aber im Nachhall eher als die halb drohend geflüsterte Frage: »Was führen Sie im Schilde, Frau Wäns?«
»Isa, obschon immer stolz auf die Tüchtigkeit ihrer Mutter, die im Gewimmel der Kinder souverän ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen nachkam, war der Liebling des Vaters. Schon bei ihrer Geburt hatte er überall Pfefferkuchen verteilen lassen. Zu ihrem Unglück war er bereits tot, als sie mit ihren Berufsplänenrausrückte. Innenarchitektin mit der vorher obligatorischen Tischlerausbildung? Der Familienrat verweigerte die Zustimmung. Isa blieb nur das Ausreißen. Sie schlug sich durch als Dienstmädchen in einem Sanatorium und als landwirtschaftliche Gehilfin auf einem polnischen Gut. Es gibt eben, Herr Scheffer, solche Menschen. Sie müssen mit dem Kopf durch die Wand, auch wenn Kopf und Wand dabei splittern sollten. Sie können nicht anders.«
Mein Herr Hans auf der Küchenbank kniff mißtrauisch die Augen zusammen. Er witterte meine Absicht offenbar rascher, als ich selbst es tat, sagte aber nichts. Konnten wir beide nicht ein glückliches Paar sein, weil wir voneinander keine vollständige Erfüllung erhofften? Uns genügte das Erträumen, wir benötigten nur Anlaß
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