Gewäsch und Gewimmel - Roman
über und über glitzernd. Sind sie nicht beim gleißenden Gang zwischen dem Spalier der Tische und Esser Teilnehmer und Teilhaber einer Fürstenhochzeit, koste es, was es wolle, und neigen sich, umhüpft von den familiären Fotografen, nach rechts und links, um das Volk zu grüßen mit schüchterner Huld und beinahe, wenn auch sacht verlegen, mit ein wenig Herablassung? Dabei schleppen sie, humpelnde Eltern, lahmende Tanten, grelle Nichten, Hochzeitskollegen sie alle, einzeln und zu Paaren, funkelnd eingewickelte Gegenstände, es könnten auch Stehlampen dabei sein. Sogar eine große Torte mit Kerzen zum Eigenverzehr wird mitgebracht und ein gewaltiger barocker Bilderrahmen ohne Bild. Bescheidenere Geschenke bleiben in Einkaufstüten von Ikea und Aldi vor unseren Augen verborgen. Am besten gefallen uns zwei als Braut und Bräutigam kostümierte Kleinkinder,mächtig aufgebläht gegen die Welt, als wüßten diese Kobolde bereits, daß sie, die Welt, uns andernfalls eindrückt ohne Pardon. Kein Zweifel macht ihre Schritte unsicher. Es folgt eine Greisin, die kranken Hüften von einer offenbar im letzten Moment gegriffenen, gardinenartigen Tüllschärpe umschlungen. Sie wandert allein hinter ihrem Rollator. Ihr königliches Verneigen zu uns, den im bequemen Sitzen Staunenden am Wegesrand, ist für Hans so bestrickend, daß er ihr eine Kußhand zuwirft. Sie winkt uns, dem Volk, mit einem Zipfel der Schärpe und viel Grandezza, ganz bewegt.
Jetzt dämmert mir aber, warum er kein Auge wendet von dem Zug, auch nicht, als sie alle, zum »Empfang« mit Cocktails nach Art des Hauses versorgt, auf das Essen warten. Unsere Serviererin hat uns augenzwinkernd eine Art »Getränkekarte« beschafft.
Wildsaublut – rot
Räuberschweiß – grün
Eberseim – gelb
Blauer Strolch
»Im Grunde«, kommentiert Hans ungerührt den klobigen Humor der Liste, »waren wir mit unseren Umbenennungen der Wege für Anada nicht weniger idiotisch.«
»Blauer Strolch« ist Sieger. Ein Pärchen führt dem Hauptpaar vor, was heiße Liebe bedeutet. Ein ungefüger, grimassierender Onkel knipst die ganze Mannschaft nacheinander, vom extra dafür mitgebrachten goldenen Rahmen gefaßt. Jeder Gedanke gilt schon jetzt der Erinnerung. Während die Gesellschaft sich alle Mühe gibt, dieses eine Mal Prominenz oder Land- bis Hochadel zu sein, macht Hans, ungetäuscht von ihrer Tarnung, in Abendkleider und schwarze Anzüge gekleidete Wurzelwesen aus, seinem Reich der Moore und Moose entstiegen, der Heide als Figurenschwaden entwichen, den Froschteichen und rötlichen Grashorsten in allerlei Verrenkungen entsprungen. Sind die biederen Gäste denn nicht in Wahrheit Waldgespensterchen, modrigeund aufgeputzte ältliche Elfen, borstige Sumpfgrafen, krautige, auch flimmernde Nymphen, bengalische Gnome und Trolle in ihrer Rindenhaut, insgeheim erboste Zwerge, die der Verwandtschaft notgedrungen drei, vier Juwelen zur Festfinanzierung aus den unterirdischen Lagern rausrücken, geflügelte, geschminkte Zwischenreichgeister mit verräterischen Nasen und verdächtigen Ohrverästelungen, schelmisch verwachsen und uns Sterblichen nur für eine einzige Stunde erschienen in nachgeahmter, karikierender Menschengestalt? Selbst ihr Trick mit den ungetümen Plastiktüten vom Discounter verfängt nicht bei ihm, nicht bei Hans, dem angestammten König des kleinen Hochmoors. Nicht einmal durch den nun bei ihnen einsetzenden Drang in Richtung des Pappschilds neben der provisorischen »Bar« läßt er sich hintergehen. Die Kellner haben für diesen Anlaß mit riesigen Buchstaben, vielleicht wegen der kurzsichtigen Älteren, »WC« darauf geschrieben.
Er hat sich nun so gesetzt, daß er neben mir ihr Treiben an den Stehtischen weiterhin verfolgen kann. Ach, ich sacke allmählich zu ihm hinüber, an seine Schulter, fast ohne Absicht. Denn gehorche ich nicht seiner wärmenden Schwerkraft und dem leisen Summen zwischen uns? Ganz still für mich versuche ich, in seinem Rhythmus zu atmen. Er stutzt, ändert aber seine Haltung nicht. Am liebsten würde ich zum vollen Genuß für ein, zwei Handvoll Sekunden die Augen schließen. Das sähe allerdings, ich weiß und fürchte es, allzu selig aus. Währenddessen sinkt die Sonne geräuschlos, deshalb spüren wir es kaum.
Ist es denn nicht bis gestern, bis zu Sabines Anruf, in unserer Küche ähnlich gewesen? Auch das Summen und, an den träumerischen Tagen ohne mein barsches Bärchen, das Geräusch ferner Zugvogelschreie am Rand meiner
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