Gewäsch und Gewimmel - Roman
die ganze Zeit behalten hat. Dabei wurde sie von Monat zu Monat, von Woche zu Woche unabhängiger. Herr Scheffer, denken Sie nur, sie begann damit, einen Kunsthandel aufzubauen, richtete chinesische Wohnungen für Ausländer ein, setzte sich mit Schiebereien, Finten der Polizei, mit Papierkrieg und gaunerischen Gesetzen auseinander, zog mit ihrer Firma vom ›verruchten‹ Shanghai ins ›bezaubernde‹ altchinesische Peking, finanzierte aus eigener Kraft eine große Bungalow-Gartenanlage für ihre privaten und geschäftlichen Bedürfnisse, einen sogenannten ›Hong‹ mit Hauspersonal,Koch, Chauffeur, besaß überall Freunde, Kontakte, Beziehungen.«
»Warum aber, liebste Frau Wäns, so viel über Großmütter und Großtanten, warum sagen Sie keinen Ton über Ihre Eltern, zumindest über Ihre Frau Mutter? Taugte die nichts?« unterbrach mich da Hans aus heiterem Himmel. Ich stutzte, was ihn zu amüsieren schien. Er schmunzelte nach seiner direkten Frage taktvoll bei niedergeschlagenen Augen. Dieser Mann sieht mir ja fast alles an, wenn er Lust dazu hat.
Ich wußte keine Antwort, sagte nichts, preßte mich als Winzigkeit gegen die Rückwand und zog die Schultern hoch. Vielleicht war das aber kein Zufall, vielleicht war das nicht ganz so unschuldig und hilflos, wie es auf Hans wirkte. Ich spürte nämlich, was ich erhofft hatte, daß er meine ein wenig schmächtig geratenen Schultern, wie es mir bei besonders kräftigen Männern öfter passiert ist, gerührt anstarrte. »Zu nah«, antwortete ich schließlich, »bei meinem Enkel geht es wieder.«
»Das Schwärmen? Gut, also vergolden Sie weiter!«
Das mußte ausgerechnet mein Herr Scheffer sagen! Aber ich riskierte natürlich keinen Hinweis auf ihn selbst.
»Ungekrönte Königin Shanghais war damals eine Frau aus sehr begüterter ausländischer Diplomatenfamilie: Bébé. Ohne mit der Wimper zu zucken, verlor sie beim Glücksspiel enorme Mengen Geld und ließ für ihre Feste im Privatflugzeug Früchte und Blumen aus Honolulu holen.«
Hier drohte Hans mit dem Finger: »Nicht schon wieder abschweifen, liebe Frau Wäns!«
Es war mir ganz recht, daß er mich dadurch aus dem Konzept brachte, denn ich habe die nächste Etappe in Isas Leben nie richtig begriffen. Eventuell hat sie auch extra für Sprünge und einige Dunkelheit gesorgt.
»Ab 1940 wirkten sich die Frontverläufe des Zweiten Weltkriegs auf ihr Leben in Asien aus. Von 1941 an lebte sie bis 45 inBerlin, hielt auch Vorträge für die Wehrbetreuung. Sie wird den Soldaten mächtig den Kopf verdreht haben. Zu dieser Zeit war sie, nach den Fotos, wirklich eine blendende Erscheinung, Herr Scheffer. Glamourös wie eine Filmschauspielerin, trotz eines lebenslangen Fußleidens. Über die ersten Nachkriegsjahre hat sie nie gesprochen. Erst recht nicht über die Ermordung der Juden. Ich erinnere mich nur an den Satz: ›Hitler, Göring, Goebbels, Mussolini: Wie konnte man auf solche Visagen und Hintern reinfallen!‹ Als sie 1948 nach China zurückkehrte, war Mao Tsetung in Peking einmarschiert. Vorher hat sie sich ein einziges Mal mit den Schwestern, Anna Hornberg und Elli Cuntz, die ein Jahr jünger war als die von der Musikwelt inzwischen vergessene, verwitwete Sängerin, in Essen getroffen. Herr Scheffer, habe ich eigentlich erzählt, wie Anna in Paris zwischen den Kriegen eine famose Kollegin, die gefeierte Opernsängerin Vera aus der russischen Kousmichoff-Tee-Dynastie kennenlernte? Schade, eine Geschichte für sich. Elli hatte in Essen in ein großes Hotel mit gläsern überdachtem Innenhof, hauseigenem Friseursalon und schönen Festsälen eingeheiratet und 1923, frisch vermählt, die Ruhrbesetzung durch die Franzosen mit völliger Beschlagnahmung des Hauses erlebt. Im Zweiten Weltkrieg zerstörten die schweren Luftangriffe zum großen Teil das florierende Haus. Der Rest diente der Feuerwehr als Unterkunft und wurde bald von der Wehrmacht kassiert. Ein Jahr nach Kriegsende konnte der Hotelbetrieb notdürftig wieder aufgenommen werden. Elli …«
»Bleiben Sie um Gottes willen bei Isa, Frau Wäns. Jetzt nicht auch noch eine Tante Elli Hinz oder Großtante Kunz als Nebengleis!« rief Hans wie händeringend.
Ich war ja selbst verblüfft, wieviel mir, einmal in Fahrt gekommen, wenn auch lückenhaft, zu den Größen unserer Familie einfiel.
»In Shanghai aber, stellte Isa fest, lebte man noch sorglos dank Chang Kai-shek, der den Sieg über die Rote Armee versprach. Die»Queen von Shanghai« triumphierte
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