Gewäsch und Gewimmel - Roman
und Ziel dafür, anders, als es sich bei der törichten, armen Sabine verhielt. Nein, das galt nur für mich, für den Mann in meiner Küche noch lange nicht. Tatsächlich für mich, hier, in der Nähe meines so malerisch gealterten Engels? Lieber eilig weiterreden:
»Wenn ich durch diese Landschaft gehe, ich tu’s ja nicht mehr oft, habe ich zuverlässig und unerwünscht das Gefühl, ich würde irgendwo das Mädchen entdecken«, sagte Hans in meine Gedanken hinein.
Ich wußte das längst. »Unerwünscht«! Lieber schleunigst weiterreden. Ich würde sein Gefühl bei unserer Wanderung an seinem Arm ertragen müssen, würde es leicht ertragen, an seinem Arm.
»Schon bald darauf, Herr Scheffer, leistete Isa in Berlin im Auftrag der Gas- und Wasserwerke Aufklärung, Werbung und kleine Reparaturen als Kundendienst. Die Frauen sollten von Kohle auf Gas umgestimmt werden. Sie und ihre Gehilfinnen besuchten nach Anmeldung die Haushalte. Manchmal empfing sie dort ein nackter Mann. Keine Angst, Herr Scheffer, mit solchen Sachen wurde die Großtante spielend fertig. Daneben begann sie asiatischeKunst und Buddhismus zu studieren, arbeitete als Volontärin in einer Autowerkstatt, dekorierte die Schaufenster der Geschäftsstellen der Berliner Gaswerke, hielt Vorträge über die Vorteile von Gas und arrangierte Ausstellungen dazu. Sie ziehen die Brauen hoch, Herr Scheffer?«
Ich hatte ihm gegenüber noch nie eine so körperliche Bemerkung gewagt. Wie gut sie mir tat! Ich erschrak etwas, nicht unangenehm.
»Bedenken Sie bitte, ich berichte nur, was die Großtante selbst von sich erzählt hat. Bei ihrer Schwester Anna, der Sängerin, entwarf und hütete unsere Familie die Legende. Isa hat das für sich selbst besorgt. Es gab kleine Liebschaften selbstverständlich, aber auch Aufbau eines Kundendienstes in Zwickau und Wien, wo sie an einem Kochbuch mitwirkte. Zwischendurch war sie, 1929, meine ich, in Berlin beim Planen einer Ausstellung ostasiatischer Kunst im Kronprinzenpalais tätig.«
Es war in gewisser Weise schrecklich, wie ich es vor mich hin haspelte und spann und schnurrte, das alte Familiengarn. Ich konnte mich nicht bremsen, das Knäuel raste, durch nichts mehr zu stoppen, den Abhang runter.
»Die eigentliche Sensation jener Zeit kurz vor 1933 war für sie jedoch ihre komplizierte Ehe mit dem Direktor, ich glaube, einer Wiener Gasfirma, der sich ihretwegen von seiner Frau trennte, mit der er allerdings katholisch verheiratet blieb. Für die beiden Verliebten war offenbar nur eine standesamtliche Ehe möglich, aber, wie sie auch im Alter noch immer stolz sagte, Flitterwochen im Hotel Danieli in Venedig und Zugfahrt dorthin 1. Klasse! Und nun, Herr Scheffer, fängt der Roman eigentlich erst an, nämlich mit der Schiffsreise von Genua nach Shanghai, wo der Ehemann beruflich zu tun hatte.«
Hörte er mir noch zu, während er die Ellenbogen auf den Tisch stemmte und die Fäuste das Gesicht von unten kindlich stauchten? Durfte ich weiterhin unser Familiengeraune in seinen Kopfeindringen lassen und ihn in unserer Vergangenheit verwurzeln, so daß er nicht mehr daraus flüchten konnte?
»Die junge Frau, sie war noch keine dreißig, führte in Shanghai das Luxusleben der wohlhabenden Ausländer, eine, wie sie selbst sagte, ›Drohnenexistenz‹, ein Leben ›wie die Made im Speck‹ – ich ekelte mich immer, wenn sie das sagte, Herr Scheffer, weil ich die Tante nur sehr dick kannte und es wörtlich nahm. Ich kannte sie nicht als mondäne Frau, die sie damals den Fotos nach gewesen sein muß – mit einer Schar von Dienern, ein Dasein zwischen Reiten, Skifahren in Japan und verschwenderischen Partys, dem sie durch das Studium von chinesischer Kalligraphie und Sinologie an einem College etwas entgegenzusetzen versuchte.«
»Machte sich um diese Zeit nicht ein gewisser Mao auf den Langen Marsch?« fragte Hans friedlich dazwischen.
»Ich glaube 1934, ein Marsch, auf dem die allermeisten starben. Isas Ehe verlor sich irgendwie durch die politischen Vorgänge in Nazideutschland und Österreich. Das katholische Kirchenrecht, Herr Scheffer, die vielen Reisen des Mannes und dessen jüdische Mutter, Herr Scheffer, sollen dabei eine Rolle gespielt haben. Er verschwand allmählich aus ihren Erzählungen, dafür tauchte manchmal, je nach Stimmung, die angebliche Unglücksehe mit einem Schweden auf. Von Zeit zu Zeit fuhr sie über Sibirien nach Berlin. Die Fahrt dauerte elf Tage. Das weiß ich noch und daß sie ihre Berliner Wohnung
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