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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Dunkel gestäubt, geträufelt, kaum ahnbare Pinselstriche einer Seele, Wölkchen, auf dem Weg zur Person mit charakteristischen Körperlichkeiten, verflochten in ein einziges Jagen, Streben und Fliehen. Es sei ja ein gewaltiges Pulsieren in diesem unbegrenzten Schwarm gewesen, ein Summen zuerst, flüsternd, vielleicht jammernd, aufschluchzend, wimmernd, ein Wispern und Rascheln auch, aber immer melodischer werdend.
    »Sieh da, natürlich, ist das ein Ding! Die Pestleutchen, Hans Flasch, die Strohpuppe, ich könnte es beschwören, der gute Geist vom Müliboda!« habe der auf- und niederhüpfende Wind plötzlich gekeucht und gelacht, wie von einem Gedankenblitz getroffen, ihr Patient Herbert Wind, der sich durch sein besessenes, von ihr gar nicht so wüst gefordertes Springen zusätzlich in eine Vergegenwärtigungsrage habe bringen wollen, »da, die Frau Eggli, dort der zwielichtige Jäger! Wahnsinn! Da sind sie ja alle versammelt!«
    Sie, Elsa, habe das nicht verstanden, Wind auch nicht durch Nachfragen unterbrechen wollen in seinem muskulären und verbalen Toben, dafür selbst aber gespürt, daß sie allmählich in das Bild hineingezogen worden sei. Unter die aus der Schwärze, die vielleicht von Stürmen durchwühlt gewesen sei, flackernd hervorbrechenden Kreaturen habe sie unwillkürlich ihre Klienten gemischt. Oder sie hätten das aus eigener Kraft geschafft und die gemalten Geschöpfe einfach besetzt mit ihrem eigenen Schicksal. Genauso nämlich, wie diese Leute sich nicht damit zufriedengäben, sie tagsüber mit ihren Geständnissen zu behelligen, was sie gern, wenn auch bisweilen nur mit Mühe ertrage,sondern zusätzlich nachts über sie herfielen samt ihren frohen, meist ziemlich betrübten Gesichtern voller Anklagen und Beschwerden. Ein Sack Flöhe, die sie nicht zu hüten verstünde, den sie nicht mal zubinden könne.
    »Elsa? Elsa?« Das war ihr schlaftrunkener Freund, der ein bißchen automatisch, jawohl, ein wenig pflichtschuldig und unbeherzt nach ihren Brüsten tappte, dann wie versehentlich mit den äußersten Fingerspitzen nach zwei Zentimetern Haut oberhalb ihres Schamhaaransatzes (ob absichtlich oder nicht, so oder so momentan ein Vergehen, da sie gerade jetzt nichts als streng Bericht erstatten wollte. Außerdem schienen ihr die Berührungen für diese Nacht ausgereizt zu sein). Sie entfernte die Hand. Er legte sie an dieselbe Stelle zurück. »Meinst du allen Ernstes, Elsa, du hättest unter den Grimassen deine Krankenkäuze herausgefunden? Ist es denen also wieder geglückt, sich gut getarnt in deine Nachtruhe einzuschleichen! Wer sind diesmal meine Rivalen? Dein Liebling, das sehnsüchtige Wänschen? Pratz, tot oder lebendig? Der Komponist Keller, aus dem doch nichts Rechtes mehr wird? Etwa die gesamte Sippschaft, falls du irgendwie den Überblick hast? Läßt sich das Pack denn wirklich identifizieren, schrullige Bettgenossin?«
    »Wichtig sind nicht die schiefe Nase, nicht das schielende Auge an sich, das nicht. Es ist der anstürmende Pulk, die Masse, in der sich die Besonderheiten überkugeln. Übrigens erkenne ich dich und mich darunter. Wind äußerte die Vermutung, Dillburg selbst habe bei der Schilderung an seine Gemeinde gedacht.«
    Es sei jedoch gleichzeitig ein Fischzug gewesen. Unsichtbare Netze müßten das ganze kitzlige Durcheinander der hingetupften Lebewesen offenbar gehalten haben. Sie hätten die Beute waagerecht hinter einer bis in das Licht ihres weiß strahlenden Seelenkerns durchsichtigen Gestalt mit einer Flammenkrone auf dem Kopf hergeschleift. Unwiderstehlich seien von deren magnetischer Kraft die teilweise noch gar nicht ausformuliertenProbegeschöpfe, gerade erst aufkeimende Saatkörner und Verwesungstrümmer, ebenso wie die gefiederten und geflügelten Häuptchen in ihren mit kleinen Glühlampen besetzten Rettungsringen, aus den Schluchten und Zerklüftungen gezogen worden, verlockt von dem überirdischen Glanz, selbst wenn sie sich qualvoll abzuwenden, in ihre jeweiligen Finsternisse zu vertiefen suchten und die herrische Strömung aus Nichts und Nacht hin zu der sanft entbrannten Erscheinung nicht hätten wahrhaben wollen: sie sei stärker gewesen als ihre persönlichen, teilweise grüblerischen, flehentlichen Zustände.
    Das alles habe sich in der linken Bildhälfte zu festlicher Musik auf großen Streichinstrumenten abgespielt, ein gemessenes Jauchzen offenbar, das aber der von den noch Unerlösten abgetrennten Mutter mit dem Kind auf der rechten Seite gegolten

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