Gewalt ist eine Loesung
Rausschmeißer. Aus Hamburg reiste eine große Hooligan-Abordnung an, dazu die führenden Köpfe unterschiedlichster Hool-Gruppierungen aus Berlin, Nürnberg, Hannover und dem halben Ruhrgebiet sowie
einer berüchtigten Skinhead-Bande aus der Hauptstadt. Zur Abwehr eines solchen Krawallpotenzials hätte der Bundesinnenminister vermutlich den Bündnisfall ausgerufen, hätte er von dieser exklusiven Familienfeierlichkeit Kenntnis gehabt.
Der Wodka floss in Strömen. Der DJ legte alte deutsche Schlager und Stimmungslieder auf und es herrschte eine ausgelassene, übermütige und fröhliche Stimmung. Zur vorgerückten Stunde, als die wenigen Familienangehörigen das Festzelt verlassen hatten, dröhnten Schlachtgesänge durch die Nacht. 150 der bekanntesten Hooligans Deutschlands brüllten aus voller Kehle die Lieder ihrer Vereine und Gruppierungen. Meine ausgelassene Feierstimmung wurde rüde unterbrochen, als einer der Anführer der Berliner Hooligans – mit nacktem Oberkörper und von Kopf bis Fuß mit Knast-Tattoos zugemalt – sich plötzlich vor mich stellte, weil ich im Auftrag des Onkels ein paar Fotos gemacht hatte. »Hey, du bist doch der Bielefelder Bulle! Wem gehört diese Kamera? Für wen machst du diese Fotos?« Ich spannte vorsorglich meine Muskeln an, da ich in jedem Moment mit einem Angriff rechnen musste. »Das ist die Kamera vom Onkel. Wenn du damit ein Problem hast, lass dich einfach nicht fotografieren!« Wir blickten uns noch zehn Sekunden belauernd in die Augen. Er drehte sich wortlos um und steuerte die Theke an. Da war er, dieser offenkundig unüberbrückbare Konflikt. Meine beiden Welten wollten für viele Außenstehende einfach nicht zusammenpassen. Hier war ich für einige, die mich nicht kannten, ein beschissener Bulle: Und bei der Polizei wäre ich – hätten sie von meinem Hobby gewusst – nur ein mieser Schläger gewesen. Aber noch ahnte der Staat nichts von meinem Doppelleben.
Nur wenig später hatte das »Tier« seinen Auftritt. Jan hatte diesen Spitznamen. Er war der fast zwei Meter große Anführer einer Gang in Bielefelds miesestem Viertel – mit Händen so groß wie Schaufeln und einem hammerharten Schlag. Stark, brutal, skrupellos – ein Tier eben. Zusammen mit zwei Hamburger Jungs machte sich Jan gegen 02:30 Uhr auf in die Bielefelder Innenstadt, auf der Suche nach einem kleinen Nebenverdienst. Das Ziel: die Chevignon-Boutique in der Bielefelder Altstadt. Chevignon war eine der angesagten Marken in der Hooligan-Szene. Neben Best Company, Blue System und Burberry. Abgerundet wurde das Outfit zumeist mit New-Balance- oder Adidas-Torsion-Turnschuhen. Markenkleidung war in der gesamten Hooligan-Szene angesagt und diente oft auch als heimliches Erkennungszeichen.
In der Altstadt angekommen, hatten die drei eine Kellerschachtabdeckung aus der Verankerung gerissen und damit die riesige Schaufensterscheibe der Chevignon-Boutique eingeschlagen. Einer hatte im Fluchtwagen gewartet, während die anderen in den Laden gestürmt waren und alles zusammenrafften, was sie in kürzester Zeit greifen konnten. Einer der drei schien sich an den Glasscherben geschnitten zu haben, denn einige Pullover und T-Shirts waren mit Blut verschmiert, als der Mob zurück zur Hochzeitsgesellschaft kam.
Die Ware wurde, ohne große Worte zu verlieren, auf einem Tisch ausgebreitet und der Sommerschlussverkauf konnte starten: Ein Chevignon-Pullover kostete 40 statt 120 Mark, ein T-Shirt 20 statt 50 Mark. Es dauerte keine zehn Minuten und der gesamte Tisch war leer gekauft und die Jungs hatten in Rekordzeit ein paar hundert Mark umgesetzt. Ich selbst bekam ein Shirt geschenkt – »für den Lieblingspolizisten«, wie unter schelmischem Grinsen angekündigt wurde. Der Lieblingspolizist nahm das Geschenk an und schaute weg. Wie er so oft wegschauen musste.
Der Einbruch und der Diebstahl lösten bei mir keinerlei moralische Bedenken aus. Mein Rechtsempfinden und Schuldbewusstsein wurden immer weiter ausgehöhlt. Zuerst bezog sich das nur auf Körperverletzung und Landfriedensbruch – die klassischen Verstöße von Hooligans. Mittlerweile bereiteten mir aber auch solche Geschichten wie die mit dem Chevignon-Laden keine schlaflosen Nächte mehr. Selbst der rege Drogenhandel unter den Mitgliedern der Blue Army kollidierte nicht mit meinem Rechtsbewusstsein. Ich blendete solche Dinge für mich komplett aus und handelte sie mit einem lapidaren »Die sind schließlich alt genug« einfach ab. Ich nahm diese Geschichten,
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