Gewalt ist eine Loesung
wurden geschmiedet und das Treffen mit den Lauterern schon einmal im Geiste durchgespielt. Jeder wusste, was er zu tun haben würde, und jedem war klar, dass er sich auf die anderen verlassen konnte. Hier in diesem Bus waren alle gleich. Standesunterschiede gab es keine. Schulabschlüsse, Berufe oder Besitzstände spielten keine Rolle. Wir waren eine Gemeinschaft, wir waren Freunde – bedingungslose Freunde.
Gegen 13 Uhr erreichten wir endlich unsere Autobahnausfahrt. Der Bus mit dem Nachwuchs fuhr direkt hinter uns, als wir in eine mobile Polizeikontrolle gerieten. Hier warteten die beiden Bielefelder szenekundigen Beamten Lintz und Volkerts. Auch sie waren unterwegs in die Pfalz. Wegen uns.
Unser Bus wurde in eine Parkbucht gewinkt. Ich hatte mir mittlerweile angewöhnt, das Einsatzverhalten von Polizeikräften bei Fußballspielen einzuschätzen, um daraus Rückschlüsse für mich zu ziehen. Anhand von Mimik, Auftreten und Gesprächen untereinander konnte man schon einiges ablesen. Hier waren einheimische Polizeikräfte im Einsatz. So etwas konnte ich immer daran erkennen, dass sie mit übergroßem Eifer bei der Sache waren. Für einheimische Polizisten waren wir Eindringlinge. Nestbeschmutzer, die in fremden Revieren unterwegs waren. Auswärtige Polizeieinheiten waren in dieser Hinsicht zumeist viel lockerer und gleichgültiger. Diese hier waren ganz und gar nicht entspannt. Und das war nicht gut!
Für mich hieß es nun, größtmögliche Zurückhaltung zu zeigen. Bloß nicht auffallen, schön im Hintergrund bleiben. Eine Festnahme wäre für mich kein kleiner Kollateralschaden geblieben – bei mir hing meine ganze Existenz dran. Und hier konnte es eng werden. Die Edenkobener Polizisten machten von Anfang an einen total überforderten Eindruck. Unmöglich, dass sie bereits viele Erfahrungen bei Fußball-
einsätzen gesammelt hatten. Sie reagierten genervt, aufbrausend und ließen jegliches souveräne Auftreten vermissen. Wie gerne hätte ich ihnen meine Beobachtungen mitgeteilt – so von Kollege zu Kollege, aber ich musste schweigen. Einfach nur schweigen und unauffällig bleiben.
Zwei Hundeführer unterstützten die eingesetzten Beamten, sodass an dem Kontrollpunkt knapp 30 Polizisten eingesetzt waren – mitsamt einem sogenannten Beweis-Dokumentationstrupp, also einem Kamerawagen – und die beiden Bielefelder SKBs. Die gesamten Kontrollmaßnahmen wurde durchgehend gefilmt. Im Bus war mittlerweile die Hölle los. Die unglaubliche Hitze, der Alkohol und die vielen Drogen ließen keinen klaren Gedanken mehr zu. Gut die Hälfte der Jungs saß mit nacktem Oberkörper auf den versifften Sitzen, der Rest tanzte in dem engen Gang eine Polonäse.
Um auszutreten, durften wir den Bus nur in Dreiergruppen verlassen, mussten in direkter Nähe verbleiben und uns für die bevorstehende Kontrolle bereithalten. Die drei der fünf Knastbrüder waren derart zugekokst, dass sie es nicht schafften, unfallfrei aus dem Bus zu klettern. Sie stürzten nach der ersten Stufe krachend aus dem Fahrzeug und blieben stöhnend im Staub liegen.
Ein Bielefelder Zivilbeamter sprach mich an. Ich kannte ihn. Menschlich eigentlich ein feiner Typ, war er beruflich in diesem Moment jedoch einfach auf der anderen Seite. Bislang hatte er davon abgesehen, einen Bericht über meine fragwürdigen Freizeitaktivitäten zu fertigen, was ich ihm hoch anrechnete. »Hallo Stefan, wie war eure Busfahrt? Das ist ja eine ganz schön heftige Busbesatzung heute. Findet denn das Treffen mit den Lauterern heute statt?«, fragte er in einem freundlichen Ton.
Irgendjemand hatte seine Klappe nicht halten können. Irgend so ein Großmaul musste sich aufgespielt haben. Die Zivilbeamten wussten schon Bescheid und würden unsere Pfälzer Party mit aller Macht verhindern wollen. »Nein, davon habe ich nichts gehört. Wir wollen nur das Spiel schauen. Eine ganz harmlose, normale Fußballfahrt.«
Der Polizeiführer des Edenkobener Einsatzes kam dazu und teilte den beiden SKBs seine Bedenken mit. Er meinte, er würde jeden, der zu Gewalt neigen würde und Ausschreitungen verursachen könnte, präventiv in Gewahrsam nehmen. Die Zivilbeamten aus Bielefeld sollten ihm bei der Auswahl der besonders gewalttätigen Kandidaten helfen. Der Bielefelder Beamte Lintz antwortete trocken: »Wenn das so ist – dann müsste der ganze Bus komplett verhaftet werden.« Diese Einschätzung ließ den Polizeiführer nicht ruhiger werden. Im Gegenteil. Er beabsichtigte, jeden
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