Gewalt ist eine Loesung
Rockabillys standen gebannt da – und schauten in die falsche Richtung. Als sie uns schließlich bemerkten, war es schon zu spät.
Ich sprang dem ersten, der mir in den Weg kam, aus vollem Lauf mit gestrecktem Bein in den Brustkorb. Er flog etwa drei Meter weit nach hinten und prallte in die dort abgestellten Motorräder. Dieser Typ stand nicht mehr auf. Dirk schlug dem Nächstbesten direkt die Nase kaputt – ein Geräusch, als würde man ein dickes Stück Holz brechen. Etwas weiter rechts von mir hörte ich nichts als dumpfe Schläge und Schmerzensschreie. Wir hatten sie einfach überrollt, kraftvoll wie eine Welle. Und damit hatten die Pseudo-Rocker nun gar nicht gerechnet.
Zwei oder drei der Roosters setzten anfänglich ein paar unserer Jungs ordentlich zu. Aber am Ende wurden auch sie zusammen mit den restlichen Schmalzlocken überrannt und übel zusammengedroschen. Mit so einem Auftritt hatten die Rockabillys nicht gerechnet. Sie hatten sich komplett überschätzt. Und einfach nicht geahnt, mit welcher Schlagkraft und vor allem auch mit welcher Routine eine Horde Fußball-Hooligans auftreten kann. Für uns war es ein Festtag: Samstagnacht, Sommer, Bier und Wodka, keine Polizei, keine verdeckten Ermittler, keine Kameraüberwachung – und willige Opfer. Und der Polizist in mir? Es war Wochenende.
Die »Rebellen« sammelten sich vollkommen demoralisiert. Manche lagen oder saßen noch immer benommen auf dem Boden. Bestimmt 100 Schaulustige standen in der Zwischenzeit vor dem » PC69 « und starrten entsetzt auf die blutenden Menschen auf dem Teer. Ein grauenhafter Anblick – für Unbeteiligte. Für uns war das normal. Auch für den Polizisten Schubert. Was war denn schon geschehen? Hatten wir unschuldige Passanten verdroschen? Frauen? Kinder? Ältere Menschen? Nein! Einem Haufen abgefuckter Möchtegern-Rockern hatten wir es besorgt. Typen, die sich schlagen wollten. Einem Kampfsport gleich. Oder hätte ein Profi-Boxer etwa Gewissensbisse? Nein. Weshalb sollten wir dann welche haben? Wir waren Profi-Schläger.
Plötzlich kam ich wieder zu mir. Scheiße! Unter den vielen Schaulustigen standen ein paar, die mich kannten. Und ein paar Straßen weiter hörte ich die ersten Polizeisirenen. Der Polizist in mir musste schnell verschwinden! Was sagten die Ausbilder beim Bundesgrenzschutz? Wir könnten tun, was wir wollten – wir dürften uns nur nicht dabei erwischen lassen. Weg! Schnell weg! Wir mussten gehen. Aber – so paradox es klingen mochte: ganz ruhig, ganz langsam und ganz normal. Wir durften nicht weglaufen. Nicht auffallen. Wir mussten schlendern – in kleinen Gruppen gemütlich die Straße entlang. Um dann abzutauchen in dem Strom der normalen Nachtschwärmer. Da kamen auch schon die ersten beiden Polizeiwagen mit Blaulicht und Sirene an uns vorbeigerast. Die Show war vorbei.
Auch für die Rebel Roosters. Gut die Hälfte der Rocker-Bande erlitt schwere Verletzungen – verschobene Nasenbeine, eingedrückte Jochbeine, Dutzende Platzwunden und unzählige Rippenverletzungen. Eine Woche später erfuhren wir, dass sich die Roosters nur einen Tag nach der Schlägerei wieder aufgelöst hatten. Drei Monate nach der Gründung. Es gab keine Rockabillys mehr. Die Ted-Offensive war beendet – die Rebel Roosters wurden in Bielefeld nie wieder gesehen.
8. Abwehrschlacht –
Der Polizeikessel von Edenkoben
Wie lange konnte so ein Doppelleben gut gehen? Mein Alltag war eine einzige Lüge. Im wahrsten Sinne des Wortes eine Lebenslüge. Ich musste meine Mutter belügen, wenn sie mal wieder mit Blut und Dreck verschmierte Shirts oder Hosen von mir in der Wäsche hatte. Ich musste lügen, wenn ich mit Blutergüssen oder verkrusteten Platzwunden zum Polizeidienst erschien. Von außen betrachtet schien ich ständig in kuriose Zwischenfälle verwickelt zu sein. Meine Mutter musste einfach glauben, ich sei gestürzt und hätte mich dabei verletzt.
Meinen Vorgesetzten erzählte ich etwas von Sportunfällen. Mal bekam ich versehentlich einen Squash-Schläger auf die Nase, mal ging beim Boxtraining ein Schlag daneben – in Wahrheit hatte ich mir auf einem Rock-Konzert bei einer Schlägerei den rechten Handwurzelknochen gebrochen. Meine Jungs und ich schwammen auf einer Welle und gerieten immer wieder in gefährliche Strudel. Ein ewiger Tanz auf einer Rasierklinge mit zum Teil tiefen Wunden und Einschnitten.
Nein, das Gewissen plagte mich nicht. Wer zum Duell schritt – Mann gegen Mann –, musste auch einstecken
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