Gewalt ist eine Loesung
unserer Gruppe konnte man im »Zivilleben« so einordnen – diese Schweinerei freiwillig ertragen? Ich konnte das alles kaum fassen. Was da geschehen war, passte nicht zusammen. Hier im Bus saßen meine Freunde, mit denen ich mich durch zahllose durchlebte Abenteuer unzertrennlich zusammengeschweißt fühlte. Auf der anderen Seite standen diese Polizisten. Sie trugen dieselbe Uniform wie ich und sie hatten denselben Eid geschworen. Aber an diesem Tag waren sich meine beiden Welten auf einem Schlachtfeld begegnet. Und die eine Seite hatte fast grundlos und brutal auf meine engsten Freunde eingeschlagen, sie gedemütigt und zum Teil schwer verletzt.
Wo gehörte ich hin? Auf welcher Seite stand ich eigentlich? Ich pendelte seit längerer Zeit zwischen diesen beiden Welten, ohne je richtig darüber nachgedacht zu haben. Ich suchte nach einer Antwort, aber da war keine. Da war nur ein großes schwarzes Loch. Eine Traurigkeit, die ich bis dahin nicht kannte. Und dann musste ich plötzlich weinen. Ich drehte mich zur Fensterscheibe hin, drückte mir meine Baseballkappe ins Gesicht und heulte.
Die Jungs hatten gemerkt, dass mit mir etwas nicht stimmte, und ließen mich einfach in Ruhe. Keiner machte einen blöden Spruch, keiner zog mich deswegen auf. Ein Zeichen für Freundschaft und Kameradschaft. Und wenn ich mich noch so zerrissen und heimatlos fühlte – hier war ich doch zu Hause. Hier durfte ich sein, wie ich eben war. Hier wurde ich akzeptiert, auch als Bulle. Diese Toleranz durfte ich vonseiten der Polizei vermutlich nicht erwarten. Oder würden die Behörden meine dunkle Seite verstehen können? Ich denke, ich kannte die Antwort auf diese entscheidende Frage schon längst …
Es war schon spät in der Nacht, als wir endlich in Bielefeld ankamen. Da der Busbahnhof Kesselbrink direkt gegenüber des Polizeipräsidiums lag, musste ich mit einer weiteren Kontrolle in meiner Heimatstadt rechnen. Ich hatte mich wieder einigermaßen sammeln können und das war auch nötig, denn bei der Ankunft in Bielefeld, brauchte ich einen klaren Kopf, um eine mögliche Feststellung meiner Personalien irgendwie vermeiden zu können. Und das war ein schwieriges Unterfangen, denn am Busbahnhof stand ein ganzes Heer von Polizeikräften, um uns in Empfang zu nehmen.
Ich musste wachsam bleiben. Als der Bus parkte, wurde er sofort von sechs Bielefelder Streifenwagen sowie den zwei Mannschaftswagen, die noch immer an unseren Fersen hingen, eingekreist. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. Was für eine Gelegenheit für die Bielefelder Polizei! Der innere Zirkel der Blue Army in einem Bus versammelt – praktisch auf dem silbernen Tablett serviert. Leichter hätte man die Personalien von etwa 50 Hooligans kaum sammeln können. Diese Fahrt hätte am Ende also auch für mich noch zur Hölle werden können.
Aber keiner von uns wurde kontrolliert. Wir durften aussteigen – einfach so – und uns auf den Heimweg aufmachen. War so viel Unbedarftheit möglich? Ließ sich die Polizei tatsächlich diese Gelegenheit entgehen? Ja, sie tat es. Und ich fuhr auf dem schnellsten Weg zu meiner Freundin nach Hause.
Schweigend betrat ich ihre Wohnung. Sie bemerkte meine roten, verheulten Augen und fragte besorgt nach meinem Befinden. Ich erzählte ihr ein bisschen von der Fahrt in die Pfalz, ein paar Sätze nur, ging duschen und setzte mich wortlos vor den Fernseher, wo ich irgendwann eingeschlafen sein musste. Und mir war bewusst, wie viel Glück ich ein weiteres Mal gehabt hatte. Mehr Glück, als mir zustand. Alles war noch einmal gut gegangen. Mit diesem Gefühl schlief ich ein.
Und so wachte ich am Montag auch auf. Da ich erst am Dienstagabend zur Spätschicht wieder antreten musste, hätte ich ausschlafen können. Aber schon um 09:30 Uhr klingelte das Telefon. Völlig verpennt hob ich den Hörer ab. Meine Freundin sprudelte aufgeregt los: »Du bist in der Zeitung. Da ist ein Foto von dir in der Zeitung!«
Was war los? Ich hatte doch wieder Glück gehabt! Ich war doch allen Kontrollen entgangen, kein Mensch hatte meine Personalien aufgenommen – niemand, der es nicht sollte, wusste, was ich an diesem Wochenende angestellt hatte. Und nun sollte ein Foto von mir in der Zeitung sein? »Was ist das für ein Foto?«, schrie ich in den Hörer. »Es sind zwei große Berichte über die Krawalle in der Neuen Westfälischen. Dazu ein großes Bild von dir.«
Wie konnte das nur möglich sein? »Kann man mein Gesicht erkennen?« Mir schossen die
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