Gewalt ist eine Loesung
schnellem Sex …
»Wir saufen, schlagen und randalieren. Ostwestfalenterror!« – wenn dieser Arminia-Schlachtgesang durch das »Cobra« hallte, war das weniger als Lied zu verstehen – es war eine Ankündigung. Wer sich in einer solchen Situation noch nicht bewusst war, an welchem Ort er sich gerade befand, zog sich besser schweigend zurück. Ein wilder Haufen Fleisch gewordener Waffen mit durchtrainierten, tätowierten Oberkörpern war entsichert. Ein falsches Wort, eine dumme Geste – und das Feuer würde eröffnet werden.
Obwohl ich nicht dem stereotypen Bild eines klassischen Fußball-Hooligans entsprach, konnte man bei genauem Hinsehen auch bei mir erkennen, dass ich nicht zu der Art Männern gehörte, die etwaige Probleme akademisch lösen würden. Meinen rechten Oberarm ließ ich von einem bekannten englischen Tattookünstler, Darren Star, verzieren. Das Motiv: ein aggressiver Drache, der aus dem Wasser emporsteigt. Eine schöne, detailgetreue Arbeit. Und auch Frank zeigte Flagge: Seinen gewaltigen Oberarm schmückte ein muskulöser Wikinger, der mit einer Streitaxt in einer tobenden Schlacht kämpfte. Paul, dem wir mittlerweile schon eine Tätowiersucht unterstellt hatten, schmückten an den unterschiedlichsten Stellen Bilder mit bedrohlich-deutlichen Motiven.
An jenem Abend feierten wir mit rund 20 Jungs im » Cobra « . Auf jedem Tisch stand eine Flasche Strothmann-Korn, den wir – zusammen mit zehn oder zwölf Flaschen Bier – mit Apfelsaft im Mischverhältnis 1:1 tranken. Das »Cobra« war gut gefüllt und jedem Gast dürfte an diesem Abend klar gewesen sein, wer da derart ausgelassen feierte – schließlich war unsere Clique durch zahllose Schlägereien mittlerweile stadtbekannt. Wir soffen wie die Geisteskranken, jede Hemmschwelle in Bezug auf Gewalt wurde zügellos weggespült. Die Stammgäste wussten dies und mussten auch nichts befürchten. Aber es gab ja auch noch andere.
Das »Cobra« lag im ersten Stock eines Gebäudekomplexes, der »Gesellschaftshaus« hieß. Hier war der absolute Mittelpunkt des Bielefelder Nachtlebens. Im Erdgeschoss waren noch zwei große, gut gehende Szenebars – das »Größenwahn« und das »Caribeen« – untergebracht, gegenüber lag der große Klosterplatz mit zahlreichen Bierbuden und verschiedenen Gaststätten mit Tischen unter freiem Himmel. Im Sommer strömten Hunderte von partyhungrigen Menschen auf diesen Platz – und natürlich auch die Blue Army Bielefeld.
Direkt der erste Tisch im Eingangsbereich des »Cobra« war an diesem Abend mit unseren Jungs besetzt. Da war Thomas, der, obwohl nur wenig älter als ich, schon insgesamt zweieinhalb Jahre im Gefängnis verbracht hatte. Wegen Körperverletzungen, Drogenhandel und zahlreicher Einbrüche. Eine seiner Spezialitäten waren Einbrüche in Dessous-Geschäfte. Eine durchaus smarte Geschäftsidee. Er hebelte eine Seitenscheibe im Hinterhof eines Ladens auf und klaute kistenweise Reizwäsche, die er am nächsten Tag im größten Eros-Center Bielefelds aus Sporttaschen heraus an die rund 40 Damen verkaufte, die für diese Art Textilien durchaus Verwendung hatten. Einen Teil des Kaufpreises ließ er sich direkt ausbezahlen, der Rest wurde gewissermaßen von den Damen abgearbeitet. Der Zweite am Tisch, Philipp, arbeitete in einem Fotoladen in unserem Viertel. Seine Spezialität: Er suchte alle in dem Geschäft entwickelten Filme nach Pornofotos ab und brachte die Abzüge zu unseren Partys mit. Abgerundet wurde die illustre Runde von Erik, einem fast krankhaften Zocker, der – wenn er nicht gerade im Knast saß – mit jedem und auf alles wettete. Diese »Cobra«-Runde wäre für jeden anständigen Polizisten außerhalb des Dienstes ein Tabu gewesen. Für mich war das der fast normale Umgang.
Wir saßen zusammen und diskutierten über Arminias Saisonleistung und über unsere »Fußballfahrten«. Es gab verschiedene Chiffren, die überall erkannt werden konnten. In einer fremden Stadt, auf Fußball-Tour mit den Jungs, erkannte man seine Gegner auf den ersten Blick. Das erste Indiz: die Modemarken. Wenn ein kräftiger, junger Typ zwischen 20 und 35 Jahren mit New-Balance-Schuhen, Klamotten von Chevignon, Best Company oder Blue System sich im Umfeld eines Fußballspiels aufhielt, war schon einiges gesagt. Bewegte er sich in einer Gruppe mit drei oder vier ähnlich gekleideten Jungs und versuchte dabei, völlig unauffällig zu wirken, dann war die Sachlage klar. Indiz Nummer drei galt als ultimativer Beweis
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