Gewalt ist eine Loesung
einer fremden Stadt. Wir verfügten über keinerlei Lobby. Uns konnten sie mal so richtig zeigen, wo der Hammer hängt. Aber der Gruppenführer ging dazwischen und beschwichtigte seine Jungs. Ich hörte, wie er leise zischte: »Es ist gut. Denkt dran, hier sind überall Kameras. Hört auf! Es ist jetzt okay.«
Die Überwachungskameras waren fast ausschließlich auf unseren Block ausgerichtet. Wenn ein SEK-Beamter einen Hooligan grundlos geschlagen hätte, würde dies einer normalen Körperverletzung gleichkommen. Ein ausgebildeter SEK-Beamter, der unverhältnismäßig mit einem Tonfa-Schlagstock losprügelte, riskierte eine Anzeige wegen gefährlicher Körperverletzung. So etwas würde einen Vermerk in der Personalakte nach sich ziehen, wenn es in der Vergangenheit auch selten zu Konsequenzen für SEK-Beamte geführt hatte. Die Polizeiführung wusste die Sonderstellung der SEK-Einheiten im Allgemeinen zu bewahren …
Die Schlacht war vorbei. Auf Bielefelder Seite wurden 13 Verletzte beklagt. Fünf davon mussten auf Tragen aus dem Stadion und ins Krankenhaus gebracht werden. Harald – einer der Älteren der OWT-Truppe – hatte es am schlimmsten erwischt. Er lag regungslos und blutüberströmt im Staub. Mit dem Notarztwagen wurde er ins nächste Krankenhaus gefahren, wo seine zahlreichen Kopfverletzun gen versorgt werden mussten. Sein Anblick, wie er blutüberströmt da lag, sollte Tage später die Titelseite der Bild-Zeitung schmücken. Mit der Schlagzeile: »Was ist bloß mit unserer Jugend los?«
Das SEK sammelte sich knapp 20 Meter entfernt. Fünf Beamte hatten Kampfspuren im Gesicht. So schnell wie sie kamen, verschwanden sie auch wieder. Die zweite Halbzeit lief noch, als die Helikopter mit dröhnenden Rotorblättern eine Abschiedsrunde über dem Stadion drehten und wieder zurück Richtung Mainz schwebten. Der Einsatz hatte knapp 25 Minuten gedauert. Und in dieser kurzen Zeit wurde unser Widerstand durch das SEK mit brutaler Macht gebrochen. Wir hatten verloren wie noch selten zuvor.
Die Jungs waren fassungslos. Wütend. Und aufgebracht. Fünf lagen im Krankenhaus, andere liefen fast schon orientierungslos mit zerrissenen Marken-Shirts und blutigen Kopfverbänden herum. Das alles bei 35 Grad Hitze und mehr als 20 Stunden Alkoholkonsum. Wir waren am Ende unserer Kräfte. Ein paar Heißsporne pöbelten noch vereinzelt Polizisten an – der Rest wollte nur noch weg.
Mein Kumpel Olaf wurde während der Ausschreitungen festgenommen. Er lag bäuchlings auf der Laufbahn in der Nähe des Spielfeldes. Seine Arme waren mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt und er wurde von einem Polizisten bewacht, der mich argwöhnisch beobachtete, als ich mich den beiden näherte. Ich wollte mit ihm sprechen. Vielleicht etwas von dem Druck aus der Situation herausnehmen und vermitteln. Dass ich genau in diesem Augenblick von einem Pressefotografen aufgenommen wurde, hatte ich allerdings nicht bemerkt.
Der Polizeibeamte schien ganz in Ordnung zu sein. Er erklärte mir, dass er meinen Kumpel vorläufig nicht freilassen würde. Es sei noch ungeklärt, ob er in Haft käme oder mit uns zurückreisen dürfe. Da er aber nun schon 20 Minuten in der glühenden Sonne lag, durfte ich ihm ein Glas Wasser bringen. Ich kam mit dem Wasser zurück und sprach den Polizisten ruhig an: »Was wird ihm denn vorgeworfen?« Olaf habe einen Polizeibeamten tätlich angegriffen, erklärte mir der Beamte. Er würde auf jeden Fall eine Anzeige wegen Landfriedensbruch und Körperverletzung bekommen. Ich fragte den Beamten, ob eine Festnahme nach dieser völlig unnötigen Eskalation denn wirklich nötig sei. Und ob es nicht einfacher wäre, ihn einfach in den Bus zu setzen und nach Hause zu schicken. Olaf pflichtete meinem Vorschlag bei: »Ja, komm … mach das doch, hör auf ihn. Das ist ja auch ein Kollege von dir. Er ist auch bei der Polizei!«
Der Polizist starrte mich ungläubig an. Das durfte nicht wahr sein! Was hatte Olaf da gesagt? War er denn vollkommen von Sinnen? Ich war völlig entsetzt. Und sauer. Stinksauer. Noch nie hatte einer der Jungs dieses Wissen beim Fußball eingesetzt. Mein Job war ein Tabu. Bis zu diesem Zeitpunkt zumindest. Und nun diese dumme Bemerkung von Olaf. Der Beamte schaute mich noch immer entgeistert an: »Du bist Polizist? Ehrlich?« Was hätte ich tun können? Ich bejahte widerwillig. »Du bist tatsächlich bei der Polizei?« Er fragte noch einmal fassungslos nach. »Was machst du dann hier? Mit diesen
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