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Gewalt

Gewalt

Titel: Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Pinker
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ankämpfen. Dazu gehören die Entmenschlichung und Dämonisierung fremder Gruppen; die sexuelle Habgier der Männer und ihre Besitzansprüche gegenüber Frauen; die Ausdrucksformen des Konflikts zwischen Eltern und Kindern wie Säuglingsmord und körperliche Züchtigung; die moralische Färbung der sexuellen Abscheu bei der Homosexuellenfeindlichkeit; und unser Hunger auf Fleisch, der Nervenkitzel der Jagd; und die Grenzen eines auf Verwandtschaft, Gegenseitigkeit und Charisma gegründeten Mitgefühls.
    Und als hätte die Biologie nicht alles schon schlimm genug gemacht, bestätigten die abrahamitischen Religionen auch noch einige unserer übelsten Instinkte mit Gesetzen und Glaubensüberzeugungen, die der Gewalt über Jahrtausende hinweg Vorschub leisteten: die Dämonisierung von Ungläubigen, der Besitzanspruch an Frauen, das sündige Wesen der Kinder, die Abscheu vor der Homosexualität, die Herrschaft über Tiere, denen eine Seele abgesprochen wurde. Auch die asiatischen Kulturen können sich aus vielerlei Gründen schämen, insbesondere wegen der Ablehnung von Töchtern, die zu einem Holocaust an kleinen Mädchen führte. Und schließlich gab es noch die tiefverwurzelten Normen: Ehefrauen zu schlagen, Kinder zu verprügeln, Kälber einzusperren und Ratten mit Elektroschocks zu behandeln, war hinnehmbar, weil alle es immer als hinnehmbar angesehen hatten.
    Wenn Gewalt etwas Unmoralisches ist, zeigen die Revolutionen der Rechte, dass eine moralische Lebensweise häufig eine entschiedene Abkehr von Instinkten, Kultur, Religion und üblicher Praxis voraussetzt. An ihre Stelle tritt eine Ethik, die ihre Anregung aus Mitgefühl und Vernunft bezieht und in der Sprache der Gesetze festgeschrieben wird. Wir zwingen uns dazu, uns die Schuhe (oder Pfoten) anderer empfindungsfähiger Lebewesen anzuziehen und ihre Interessen zu berücksichtigen, darunter zuallererst ihr Interesse, nicht verletzt oder getötet zu werden; dabei lassen wir Oberflächlichkeiten, die uns vielleicht ins Auge stechen, wie Rasse, ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung und bis zu einem gewissen Grade auch die Spezieszugehörigkeit außer Acht.
    Diese Erkenntnis ist natürlich die ethische Vision der Aufklärung sowie der Strömungen von Humanismus und Liberalismus, die aus ihr hervorgegangen sind. Die Revolutionen der Rechte sind liberale Revolutionen. Jede von ihnen war mit liberalen Bestrebungen gekoppelt, und alle verteilen sich derzeit entlang eines geographischen Gefälles, das sich mehr oder weniger von Westeuropa über die »blauen« und »roten« US -Bundesstaaten sowie die Demokratien Lateinamerikas und Asiens bis in die eher autoritären Staaten erstreckt, wobei Afrika und der größte Teil der islamischen Welt die Schlusslichter bilden. In den westlichen Kulturkreisen haben diese Bestrebungen in allen Fällen ein Übermaß an Schicklichkeit und Tabus hinterlassen, die zu Recht als politische Korrektheit lächerlich gemacht werden. Die Zahlen zeigen aber, dass die gleichen Bestrebungen viele Ursachen von Tod und Leiden vermindert haben und dass die Kultur immer weniger bereit ist, Gewalt in jeglicher Form zu tolerieren.
    Wenn man liberale Intellektuelle reden hört, könnte man glauben, die Vereinigten Staaten würden seit mehr als 40  Jahren immer weiter nach rechts rücken: von Nixon über Reagan und Gingrich bis hin zu Vater und Sohn Bush und jetzt den verärgerten weißen Männern in der »Tea Party«-Bewegung. Aber in allen Fragen, die mit den Revolutionen der Rechte zu tun haben – Ehen zwischen Farbigen und Weißen, Gleichberechtigung von Frauen, Toleranz gegenüber der Homosexualität, Züchtigung von Kindern und Umgang mit Tieren –, sind die Einstellungen der Konservativen der Entwicklung bei den Liberalen gefolgt, was zur Folge hat, dass die Konservativen von heute liberaler sind als die Liberalen von gestern. Oder, wie der konservative Historiker George Nash es formulierte: »In der Praxis, allerdings nicht ganz in der Theorie, steht der amerikanische Konservativismus heute viel weiter links als 1980 .« [1340] (Vielleicht ist das der Grund, warum die Männer so verärgert sind.)
    Was waren die Ursachen der Revolutionen der Rechte? War es schon nicht einfach, die Ursachen des Langen Friedens, des Neuen Friedens und des Rückgangs der Verbrechen in den 1990 er Jahren dingfest zu machen, so ist es noch schwieriger, einen äußeren Faktor zu finden, der erklären könnte, warum die Revolutionen der

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