Gewalt
Rechte gerade zu dieser und keiner anderen Zeit an Schubkraft gewannen. Auch hier können wir aber die üblichen Kandidaten in Betracht ziehen.
In den Nachkriegsjahren wuchs der Wohlstand, aber Wohlstand hat einen so unbestimmten Einfluss auf die Gesellschaft, dass er im Hinblick auf die unmittelbaren Auslöser der Revolutionen kaum eine Erkenntnis liefert. Mit Geld kann man Bildung, Polizei, Sozialforschung, Sozialleistungen, Medienpräsenz, eine Arbeitswelt mit mehr Frauen und eine bessere Versorgung für Kinder und Tiere finanzieren. Welcher dieser Faktoren von Bedeutung war, ist kaum auszumachen, und selbst wenn es möglich wäre, bliebe die Frage, warum die Gesellschaft ihren Mehrverdienst unter den genannten Gütern gerade so aufgeteilt hat, dass der Schaden für schwache Bevölkerungsgruppen sich verminderte. Und auch wenn ich keine streng statistische Analyse kenne, sehe ich keinen Zusammenhang zwischen den Zeitpunkten der Ausweitung verschiedener Rechte von den 1960 er bis zu den 2000 er Jahren und dem wirtschaftlichen Auf und Ab in den gleichen Jahrzehnten.
Ganz offensichtlich spielte die demokratische Regierungsform eine Rolle. Die Revolutionen der Rechte spielten sich in Demokratien ab, und Demokratien sind von ihrem Wesen her ein Gesellschaftsvertrag zwischen Einzelpersonen mit dem Ziel, die Gewalt zwischen ihnen zu vermindern; als solche tragen sie den Samen der Erweiterung auf Gruppen, die man ursprünglich übersehen hatte, bereits in sich. Der zeitliche Ablauf bleibt aber ein Rätsel, denn Demokratie ist eigentlich keine ausschließlich äußere Variable. In der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, durch die die Entmündigung der Farbigen vermindert wurde, ging es um die Mechanismen der Demokratie selbst. Auch während der anderen Revolutionen wurden neue Gruppen durch Einladung oder eigene Bemühungen zu vollwertigen Partnern im Gesellschaftsvertrag. Erst danach konnte die Regierung mit der Macht ausgestattet werden, Gewalt gegen Mitglieder der betroffenen Gruppen zu verfolgen (oder die eigene Gewaltanwendung einzustellen).
Während der Revolutionen der Rechte hatten sich mit dem Wechsel von einer warenbasierten zu einer informationsbasierten Wirtschaft auch die Netzwerke von Gegenseitigkeit und Handel erweitert. Frauen waren weniger durch häusliche Pflichten geknechtet, und die Unternehmen suchten Begabungen nicht nur unter den örtlichen Arbeitskräften oder Altherrenvereinen, sondern in einem größeren Reservoir von Humankapital. Als Frauen und Angehörige von Minderheiten stärker in das Getriebe von Regierung und Handel hineingezogen wurden, sorgten sie dafür, dass ihren Interessen in deren Funktionsweise Rechnung getragen wurde. Einige Belege für diesen Mechanismus haben wir bereits kennengelernt: In Staaten, in denen mehr Frauen in Regierung und Berufsleben tätig sind, gibt es weniger häusliche Gewalt gegen Frauen, und wer Schwule persönlich kennt, lehnt Homosexualität mit geringerer Wahrscheinlichkeit ab. Aber wie die Demokratie, so ist auch die weiter gefasste Ausrichtung der Unternehmen kein ausschließlich äußerer Vorgang. Möglicherweise machte die verborgene Hand einer informationsbasierten Wirtschaft die Unternehmen aufnahmebereiter für Frauen, Minderheiten und Homosexuelle, aber um sie vollständig zu integrieren, bedurfte es auch der Regierungsmacht in Form von Antidiskriminierungsgesetzen. Und im Fall der Kinder und Tiere gab es überhaupt keinen Markt für wechselseitigen Austausch: Hier verlief der Nutzen ausschließlich in einer Richtung.
Wenn ich mein Geld auf eine einzige wichtigste Ursache für die Revolutionen der Rechte verwetten sollte, würde ich es auf die Technologie setzen, die Ideen und Menschen immer mobiler machte. Die Jahrzehnte der Revolutionen der Rechte waren auch Jahrzehnte der elektronischen Revolution: Fernsehen, Transistorradios, Kabel, Satelliten, Telefonverbindungen, Fotokopier- und Faxgeräte, Internet, Handys, SMS , Internet-Video. Es waren die Jahrzehnte der Autobahnen, Hochgeschwindigkeitszüge und Düsenflugzeuge. Es waren Jahrzehnte eines beispiellosen Wachstums in der akademischen Bildung und auf dem endlosen Neuland der wissenschaftlichen Forschung. Weniger bekannt ist, dass in den gleichen Jahrzehnten auch die Buchproduktion explosionsartig zunahm. Von 1960 bis 2000 stieg die Zahl der jährlichen Buch-Neuerscheinungen in den Vereinigten Staaten fast um das Fünffache. [1341]
Den Zusammenhang habe ich zuvor bereits erwähnt. Die
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