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Gewalt

Gewalt

Titel: Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Pinker
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unter Gott, Anerkennung von Geschlechterrollen und militärischer Gehorsam). [1832] In dem US -amerikanischen Kulturkampf mit seinen Konflikten um Steuern, Krankenversicherung, Sozialleistungen, Homosexuellenehe, Abtreibungen, die Größe der Streitkräfte, Evolutionslehre, Obszönität in den Medien und die Trennung von Kirche und Staat geht es zum größten Teil um unterschiedliche Vorstellungen von den legitimen moralischen Verpflichtungen des Staates. Nach Haidts Feststellungen neigen die Ideologen beider Seiten dazu, die andere Seite als unmoralisch einzustufen, während die moralischen Schaltkreise in allen ihren Gehirnen in Wirklichkeit gleichermaßen heftig aktiv sind; sie sind nur von unterschiedlichen Vorstellungen darüber erfüllt, worin Moral eigentlich besteht.
     
    Bevor ich die Verbindungen zwischen Moralpsychologie und Gewalt genauer untersuche, möchte ich mit der Theorie der Beziehungsmodelle ein psychologisches Rätsel lösen, das noch aus früheren Kapiteln in der Luft hängt. Viele moralische Fortschritte hatten die Form eines Wandels der Empfindlichkeiten, durch den eine Handlung weniger sündig als vielmehr lächerlich erschien; dies galt beispielsweise für Duelle, Stierkämpfe und hurrapatriotische Kriege. Und viele einflussreiche Gesellschaftskritiker wie Swift, Johnson, Voltaire, Twain, Oscar Wilde, Bertrand Russell und Tom Lehrer waren eigentlich keine donnernden Propheten, sondern verschlagene Komiker. Welcher Aspekt unserer Psychologie sorgt dafür, dass Witze mächtiger sind als das Schwert?
    Humor funktioniert, weil er das Publikum mit einem Missverhältnis konfrontiert, das sich auflösen lässt, wenn man den Bezugsrahmen wechselt. In diesem neuen Bezugsrahmen nimmt der Gegenstand des Witzes dann eine niedrige, würdelose Stellung ein. [1833] Wenn Woody Allen sagt: »Ich bin sehr stolz auf meine goldene Armbanduhr. Mein Großvater hat sie mir auf dem Totenbett verkauft«, sind die Zuhörer zunächst überrascht, dass ein emotional wertvolles Erbstück nicht verschenkt, sondern verkauft worden sein soll, insbesondere von jemandem, der von dem Verkauf keinen Gewinn mehr hat. Dann erkennen sie, dass die von Woody Allen verkörperte Gestalt nicht geliebt wird und aus einer Familie bestechlicher Exzentriker stammt. Der erste Bezugsrahmen, der das Missverhältnis hervorruft, besteht häufig aus einem allgemein üblichen Beziehungsmodell; um den Witz zu begreifen, muss das Publikum ihn verlassen und beispielsweise beim Witz von Woody Allen vom Modell des Gemeinschaftsgefühls zum Modell der Marktpreisbildung wechseln.
    Humor, der eine politische oder moralische Zielrichtung hat, kann insgeheim ein Beziehungsmodell in Frage stellen, das dem Publikum zur zweiten Natur geworden ist; dazu zwingt er die Zuhörer zu der Einsicht, dass das gewohnte Modell zu Folgen führt, die ihr übriger Geist als absurd erkennt. Die Bereitschaft von Rufus T. Firefly, in
Die Marx Brothers im Krieg
den Krieg aufgrund einer ausschließlich eingebildeten Beleidigung zu erklären, nimmt das Ethos der Autoritätsrangfolge und nationalen Größe auseinander; dies wusste man in einer Zeit, in der das Bild vom Krieg sich vom Spannend-Ruhmreichen zum Verschwenderischen und Dummen wandelte, durchaus zu schätzen. Auch in jüngerer Zeit beschleunigte Satire den sozialen Wandel, beispielsweise als Rassisten und Sexisten in den 1960 er Jahren als begriffsstutzige Neandertaler und Vietnam-Falken als blutrünstige Psychopathen dargestellt wurden. Auch in der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten gab es eine starke Untergrund-Satirebewegung, wie in der bekannten Definition der beiden Ideologien des Kalten Krieges: »Im Kapitalismus beutet der Mensch den Menschen aus; im Kommunismus ist es umgekehrt.«
    Im 18 . Jahrhundert schrieb die Autorin Mary Wortley Montagu: »Satire sollte wie ein geschliffenes Rasiermesser/verwunden mit einer Berührung, die man kaum fühlt oder sieht.« In Wirklichkeit ist Satire selten so scharf geschliffen, und die Zielscheiben eines Witzes sind sich oftmals nur allzu genau der subversiven Kraft des Humors bewusst. Unter Umständen reagieren sie mit einer Empörung, die durch die absichtliche Verletzung eines geheiligten Wertes, die Entlarvung ihrer Würde und die Erkenntnis, dass Gelächter die allgemeine Erkenntnis beider Tatsachen anzeigt, angeheizt wird. Ein gutes Beispiel sind die blutigen Aufstände, die im Jahr 2005 durch die Karikaturen in der dänischen Zeitung
Jyllands-Posten
provoziert

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