Gewalt
in der Zukunft ebenfalls zum Essen einzuladen (womit eine Marktpreisbildungs-Interaktion behandelt wird, als würden für sie die Regeln des gemeinschaftlichen Teilens gelten). Oder stellen wir uns umgekehrt die Reaktion bei einer Einladung zum Abendessen (Gemeinschaftsgeist) vor, wenn ein Gast das Portemonnaie aus der Tasche zieht und anbietet, dem Gastgeber das Essen zu bezahlen (Marktpreisbildung), oder wenn der Gastgeber einen Gast bitten würde, das Geschirr zu spülen, während er selbst sich vor dem Fernseher entspannt (Herstellung von Gleichheit). Ebenso kann man sich vorstellen, dass der Gast dem Gastgeber anbietet, ihm sein Auto zu verkaufen, dann aber in harte Preisverhandlungen einsteigt, oder dass der Gastgeber vorschlägt, die anwesenden Paare sollten für eine halbe Stunde sexuellen Vergnügens die Partner tauschen, bevor alle nach Hause gehen.
Die emotionale Reaktion auf nicht übereinstimmende Beziehungsmodelle hängt davon ab, ob die Diskrepanz versehentlich oder absichtlich herbeigeführt wurde, welches Modell gegen welches andere ausgetauscht wurde und um welche Ressource es geht. Der Psychologe Philip Tetlock äußerte die Vermutung, dass die Psychologie des Tabus – eine empörte Reaktion auf die Äußerung bestimmter Gedanken – ins Spiel kommt, wenn die fraglichen Ressourcen als
geheiligt
gelten. [1826] Geheiligt ist ein Wert, der nicht gegen irgendetwas anderes eingetauscht werden kann. Für geheiligte Ressourcen gelten in der Regel die ursprünglichen Modelle von Gemeinschaft und Autorität, und die Tabureaktion wird ausgelöst, wenn jemand sie entsprechend den höher entwickelten Modellen der Herstellung von Gleichheit oder Marktpreisbildung behandelt. Wenn jemand anbieten würde, einem anderen sein Kind abzukaufen (wobei er eine Beziehung des Gemeinschaftsgeistes mit dem Modell der Marktpreisbildung behandelt), würde der andere nicht fragen, welchen Preis er bietet, sondern er wäre schon über den Gedanken empört. Das Gleiche gilt für das Angebot, ein persönliches Geschenk oder ein Familienerbstück zu kaufen, das wir erhalten haben, oder uns dafür zu bezahlen, dass wir einen Freund, einen Ehepartner oder unser Land betrügen. Als Tetlock Studierende nach ihrer Meinung über das Pro und Kontra eines offenen Marktes für geheiligte Ressourcen wie Wählerstimmen, Militärdienst, Geschworenenpflichten, Körperorgane oder zur Adoption freigegebene Babys fragte, stellte er fest, dass die meisten Befragten keine guten Gründe gegen die jeweilige Praxis anführen konnten (zum Beispiel dass die Armen vielleicht ihre Organe aus Verzweiflung verkaufen); stattdessen äußerten sie Empörung über die Frage als solche. Typische »Argumente« lauteten: »Das ist entwürdigend, unmenschlich und nicht hinnehmbar«, und »Zu was für Menschen werden wir eigentlich?«
Die Psychologie des Tabus ist aber nicht völlig irrational. [1827] Um wertvolle Beziehungen aufrechtzuerhalten, reicht es nicht, dass wir das Richtige sagen und tun. Wir müssen auch zeigen, dass wir das Herz am richtigen Fleck haben, dass wir nicht Kosten und Nutzen abwägen, um diejenigen zu verkaufen, die uns vertrauen. Wenn wir mit einem unanständigen Angebot konfrontiert werden, würde alles andere als eine entrüstete Ablehnung die schreckliche Wahrheit verraten, dass wir nicht wissen, was es heißt, richtige Eltern, ein richtiger Ehemann oder ein guter Bürger zu sein. Und dieses Wissen besteht daraus, dass wir eine kulturelle Norm verinnerlicht haben, die einem urtümlichen Beziehungsmodell einen geheiligten Wert beimisst.
Ein alter Witz lautet: Ein Mann fragt eine Frau, ob sie für eine Million Dollar mit ihm schlafen würde, und sie erwidert, sie werde es sich überlegen. Dann fragt er, ob sie für 100 Dollar mit ihm schlafen würde, und sie antwortet: »Was glauben Sie eigentlich, was für eine Frau ich bin?« Darauf er: »Das haben wir doch schon festgestellt. Wir streiten uns nur noch über den Preis.« Um den Witz zu verstehen, muss man begriffen haben, dass die meisten geheiligten Werte in Wirklichkeit nur pseudo-geheiligt sind. Man kann Menschen dazu veranlassen, in dieser Hinsicht Kompromisse einzugehen, wenn der Handel verschleiert, manipuliert oder in einen neuen Zusammenhang gestellt wird. [1828] (In dem Witz kommt die charakteristische Zahl »eine Million Dollar« vor, weil damit der pure Austausch von Geld in eine Gelegenheit, die das Leben verändert – nämlich Millionärin zu werden – verwandelt
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