Gewalt

gewalttätige Konflikte auf der ganzen Welt sich weiter vermindern werden.

Der sich erweiternde Kreis
    Die beiden letzten friedensstiftenden Kräfte untergraben den psychologischen Lohn der Gewalt. Die erste ist die Erweiterung des Kreises der Sympathie. Angenommen, das Leben in einer stärker kosmopolitischen Gesellschaft, die uns mit einer Vielzahl ganz unterschiedlicher anderer Menschen in Kontakt bringt und uns einlädt, uns in ihre Sichtweise hineinzuversetzen, verändert unsere emotionale Reaktion auf ihr Wohlbefinden. Stellen wir uns vor, wir würden diesen Wandel zu seinem logischen Ende führen: Unser eigenes Wohlbefinden und das der anderen sind so verflochten, dass wir buchstäblich unsere Feinde lieben und ihre Schmerzen spüren. Der Lohn für einen potentiellen Gegner würde einfach zu unserem eigenen hinzuaddiert (und umgekehrt), und Pazifismus wäre gegenüber der Aggression ungeheuer stark zu bevorzugen.
    Abbildung  10 - 5 :
    Wie Empathie und Vernunft das Pazifistendilemma lösen
    Die vollständige Verschmelzung der Interessen aller lebenden Menschen ist natürlich ein unerreichbares Himmelreich. Aber wenn unsere Wertschätzung für die Interessen anderer in kleinen Schritten zunimmt – wenn wir beispielsweise beim Gedanken an Versklavung, Folter oder die Vernichtung anderer empfindsamer für einen Anflug von Schuldgefühlen werden –, kann sich die Wahrscheinlichkeit, dass wir ihnen gegenüber aggressiv werden, verändern.
    Belege für beide Glieder dieser Kausalkette haben wir kennengelernt: äußere Ereignisse, die neue Gelegenheiten zum Einnehmen anderer Sichtweisen schufen, und eine psychologische Reaktion, die aus einem solchen Einnehmen von Sichtweisen letztlich Mitgefühl macht (Kapitel 4 und 9 ). Seit dem 17 . Jahrhundert führten die technologischen Fortschritte in Verlagswesen und Verkehr zu einer Gelehrtenrepublik und einer Revolution des Lesens, in der die Samen der Humanitären Revolution Wurzeln schlagen konnten (Kapitel 4 ). Immer mehr Menschen lasen Bücher, darunter Romane, in denen sie sich in den Geist anderer Menschen hineinversetzten, und Satire, die sie veranlasste, die Normen ihrer Gesellschaft in Frage zu stellen. Eindringliche Darstellungen des Leidens, das durch Sklaverei, sadistische Bestrafungen, Kriege oder die Grausamkeit gegenüber Kindern und Tieren hervorgerufen wurde, waren die Vorstufe zu Reformen, durch die solche Praktiken verboten oder vermindert wurden. Eine chronologische Abfolge ist zwar kein Beweis für einen Kausalzusammenhang, aber Laboruntersuchungen, wonach eine gehörte oder gelesene Erzählung in der ersten Person das Mitgefühl der Menschen für den Erzähler stärken kann, machen einen solchen Zusammenhang zumindest plausibel (Kapitel 9 ).
    Alphabetisierung, Urbanisierung, Mobilität und der Zugang zu den Massenmedien setzten sich nach deren Aufstieg im 19 . und 20 . Jahrhundert fort, und seit der zweiten Hälfte des 20 . Jahrhunderts entwickelte sich ein globales Dorf, in dem die Menschen sich anderer, die nicht waren wie sie, noch stärker bewusst wurden (Kapitel 5 und 7 ). Wie die Gelehrtenrepublik und die Revolution des Lesens, die im 18 . Jahrhundert die Humanitäre Revolution anfachten, so dürften das globale Dorf und die Revolution der elektronischen Medien im 20 . Jahrhundert zum Langen Frieden, zum Neuen Frieden und zu den Revolutionen der Rechte beigetragen haben. Die vielfach gemachte Beobachtung, dass die Medienberichterstattung sowohl die Bürgerrechtsbewegung als auch kriegsfeindliche Empfindungen und den Sturz des Kommunismus beschleunigt haben, lässt sich zwar nicht beweisen, aber die Studien zu Standpunkt und Mitgefühl sind aufschlussreich, und wir haben mehrere statistische Zusammenhänge zwischen der kosmopolitischen Vermischung der Völker und der Stärkung humanistischer Werte kennengelernt (Kapitel 7 und 9 ). [1952]

Die Rolltreppe der Vernunft
    Die Erweiterung des Kreises und die Rolltreppe der Vernunft werden teilweise durch die gleichen äußeren Ursachen angetrieben, insbesondere durch Alphabetisierung, Weltbürgertum und Bildung. [1953] Und ihren friedensstiftenden Effekt kann man durch die gleiche Interessenverschmelzung im Pazifistendilemma bildlich darstellen. Dennoch sind der sich erweiternde Kreis (in meiner Verwendung des Begriffs) und die Rolltreppe der Vernunft unterschiedliche Konzepte (Kapitel 9 ). Das Erste besteht darin, dass man den Standpunkt eines anderen einnimmt und sich die Gefühle dieser