Gewalt
arse
und
whore
, im Deutschen zum Beispiel
Arsch
oder
ficken
.
Die neue Etikette beschäftigte sich auch mit den Requisiten der Gewaltausübung, insbesondere mit Messern. Im Mittelalter trugen die meisten Menschen ein Messer bei sich. Am Esstisch schnitten sie sich damit einen Brocken Fleisch von dem gebratenen Tier, spießten ihn mit dem Messer auf und führten ihn zum Mund. Aber die Bedrohung durch tödliche Waffen, die bei einer Versammlung stets zur Hand waren, und das schreckliche Bild eines auf ein Gesicht gerichteten Messers wurden zunehmend als abstoßend empfunden. Elias zitiert eine Reihe von Etikettevorschriften, die sich auf den Gebrauch von Messern beziehen und sich folgendermaßen zusammenfassen lassen:
Stochere nicht mit dem Messer zwischen den Zähnen. Halte das Messer beim Essen nicht ständig in der Hand, sondern nur wenn du es brauchst. Stecke das Essen nicht mit der Spitze deines Messers in den Mund. Schneide Brot nicht mit dem Messer, sondern brich es. Wenn du jemandem ein Messer gibst, halte es an der Spitze und biete dem anderen den Griff an. Umklammere das Messer nicht mit der ganzen Hand wie einen Stock, sondern halte es zwischen den Fingern. Zeige nicht mit dem Messer auf andere Menschen.
Während dieses Sittenwandels setzte sich auch die Gabel als Tischutensil allgemein durch: Die Menschen mussten jetzt die Nahrung nicht mehr mit dem Messer zum Mund führen. Die Tische wurden mit besonderen Tafelmessern gedeckt, so dass man nicht mehr das eigene Werkzeug aus der Scheide ziehen musste, und diese Messer hatten keine Spitze mehr, sondern waren abgerundet. Manche Lebensmittel, darunter Fisch, runde Gegenstände und Brot sollte man überhaupt nicht mit dem Messer schneiden – daher stammt der Ausdruck
gemeinsam das Brot brechen
.
Manche mittelalterlichen Tabus, die das Messer betreffen, gibt es noch heute. Viele Menschen machen nur dann anderen ein Messer zum Geschenk, wenn es von einer Münze begleitet ist, die der Empfänger zurückgibt – damit ist es kein Geschenk mehr, sondern ein Verkauf. Angeblich hat diese Sitte den Grund, dass man nicht symbolisch »die Freundschaft zerschneiden« will, wahrscheinlich steht aber in Wirklichkeit die Absicht dahinter, nicht symbolisch ein Messer auf einen Freund zu richten. Einem ähnlichen Aberglauben zufolge bringt es Unglück, wenn man jemandem ein Messer in die Hand drückt: Man soll es lieber auf den Tisch legen, so dass der andere es aufnehmen kann. Tafelmesser sind am Ende abgerundet und nicht schärfer als notwendig; für zähes Fleisch werden besondere Steakmesser aufgelegt, für Fisch nimmt man besonders stumpfe Messer. Außerdem benutzt man ein Messer nur, wenn es unbedingt notwendig ist. Es gehört sich beispielsweise nicht, mit dem Messer ein Stück Kuchen zu schneiden, das Essen mit dem Messer zum Mund zu führen oder Zutaten mit dem Messer zu mischen – oder auch das Essen mit dem Messer auf die Gabel zu schieben.
Aha!
Elias’ Theorie führt also den Rückgang der Gewalt auf einen größeren psychologischen Wandel zurück; der Untertitel seines Buches lautet
Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen
. Er äußert die Vermutung, dass die Europäer über mehrere Jahrhunderte hinweg, nämlich seit dem 11 . oder 12 . Jahrhundert und in ausgereifter Form im 17 . und 18 ., ihre Impulse zunehmend unter Kontrolle hielten, die langfristigen Folgen ihrer Handlungen voraussahen und die Gedanken und Gefühle anderer Menschen berücksichtigten. Eine Kultur der Ehre – die Bereitschaft, Rache zu nehmen – machte einer Kultur der Würde Platz – der Bereitschaft, die eigenen Gefühle zu kontrollieren. Solche Ideale hatten ihren Ursprung in ausdrücklichen Anweisungen, die kulturelle Schiedsrichter den Aristokraten und Edelleuten gaben, damit diese sich von den ungehobelten Bösewichtern und Bauern abheben konnten. Dann aber schlossen sie die Sozialisation immer kleinerer Kinder ein, bis sie für diese schließlich zur zweiten Natur wurden. Die Maßstäbe sickerten auch ins Bürgertum ein, das die Oberschicht nachahmen wollte, und von dort gelangten sie in die unteren Schichten, so dass sie schließlich zu einem Teil der gesamten Kultur wurden.
Elias nutzte Freuds strukturelles Modell der Psyche, wonach Kinder ein Gewissen (das Über-Ich) erwerben, indem sie die Anweisungen ihrer Eltern verinnerlichen, wenn sie noch so klein sind, dass sie sie nicht verstehen. Wenn es so weit ist, kann das Ich des Kindes die Anweisungen
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