Gewalt
auf den vorderen Teil des Kopfes, so dass sein Gehirn herausfloss und er unverzüglich starb. [153]
Gewalt zog sich auch durch die allgemeine Unterhaltung. Tuchman beschreibt zwei beliebte Sportarten jener Zeit: »Auf den Dörfern vergnügten sich die Bewohner bei Wettkämpfen, in denen sie mit auf dem Rücken gebundenen Händen eine angenagelte Katze durch Kopfstöße töten mussten, wobei sie Gefahr liefen, dass ihnen das Tier in seiner Panik die Wangen aufriss oder die Augen auskratzte. Ein anderes Spiel bestand darin, dass ein Schwein unter Keulenschlägen und dem Lachen der Zuschauer durch ein Gehege getrieben wurde, bis es leblos zusammenbrach.« [154]
In den Jahrzehnten meines Wissenschaftlerlebens habe ich Tausende von Fachartikeln über ein breites Spektrum verschiedener Themen gelesen, von der Grammatik unregelmäßiger Verben bis zu den physikalischen Eigenschaften multipler Universen. Aber der seltsamste Aufsatz, den ich jemals in einer Fachzeitschrift gelesen habe, trug den Titel »Losing Face, Saving Face: Noses and Honour in the Late Medieval Town« [155] [»Gesicht verlieren, Gesicht wahren: Nasen und Ehre in der Stadt des Spätmittelalters«]. Darin dokumentiert der Historiker Valentin Groebner Dutzende von Beschreibungen aus dem mittelalterlichen Europa, in denen ein Mensch einem anderen die Nase abschneidet. Manchmal war das eine offizielle Bestrafung für Ketzerei, Verrat, Prostitution oder Sodomie, häufig diente es aber auch als privater Racheakt. Ein Fall ereignete sich 1520 in Nürnberg: Dort hatte Hanns Rigel ein Verhältnis mit der Ehefrau des Hanns von Eyb. Der eifersüchtige von Eyb schnitt Rigels nichtsahnender Frau die Nase ab, und diese ungeheuere Ungerechtigkeit wurde noch dadurch verstärkt, dass Rigel wegen Ehebruchs zu vier Wochen Gefängnis verurteilt wurde, während Eyb straffrei davonkam. Nach Groebners Angaben kam diese Form der Verstümmelung so häufig vor, dass
die Autoren spätmittelalterlicher Lehrbücher der Chirurgie den Verletzungen der Nase besondere Aufmerksamkeit schenken. Sie diskutierten darüber, ob eine abgeschnittene Nase wieder anwachsen kann, eine umstrittene Frage, die der königlich-französische Leibarzt Henri do Mondeville in seiner berühmten
Chirurgia
mit einem entschiedenen Nein beantwortete. Andere medizinische Autoritäten des 15 . Jahrhunderts waren optimistischer: Heinrich von Pforspundt versprach in seinem 1460 erschienenen Arzneibuch unter anderem ein Medikament zur »Herstellung einer neuen Nase« für jene, die sie verloren hatten. [156]
Wie andere Wissenschaftler, die sich mit dem mittelalterlichen Leben beschäftigten, so war auch Elias abgestoßen vom Temperament der Menschen jener Zeit, die in unseren Augen impulsiv, hemmungslos, fast kindlich zu sein scheinen:
Nicht etwa, daß die Menschen hier immer mit finsteren Gesichtern, mit zusammengezogenen Stirnen und martialischen Mienen … herumgegangen wären; im Gegenteil, eben waren sie noch beim Scherz, dann verspotten sie sich, ein Wort gibt das andere, und plötzlich können sie mitten aus dem Scherz in der äußersten Fehde sein. Vieles von dem, was uns als Gegensatz erscheint, die Intensität ihrer Frömmigkeit, die Gewalt ihrer Höllenangst, ihre Schuldgefühle, ihrer Buße, die immensen Ausbrüche von Freude und Lustigkeit, das plötzliche Aufflackern und die unbezähmbare Kraft ihres Hasses und ihrer Angriffslust, alles das, ebenso wie der relativ rasche Umschlag von einer Stimmung zur anderen, sind in Wahrheit Symptome ein und derselben Gestaltung des emotionalen Lebens. Die Triebe, die Emotionen spielten ungebundener, unvermittelter, unverhüllter als später. Nur uns, bei denen alles gedämpfter, gemäßigter, berechneter ist und bei denen die gesellschaftlichen Tabus weit mehr als Selbstzwänge in den Triebhaushalt selbst eingebaut sind, erscheint die unverhüllte Stärke dieser Frömmigkeit und die Stärke dieser Angriffslust oder dieser Grausamkeit als ein Gegensatz. [157]
Auch Tuchman schreibt über »das Kindische, das im Verhalten des mittelalterlichen Menschen in seiner Impulsivität, seiner mangelnden Selbstkontrolle so deutlich war«. [158] Und Dorothy Sayers fügt in der Einleitung zu ihrer Übersetzung des
Rolandslieds
hinzu: »Die Vorstellung, dass ein starker Mann auf großes persönliches und nationales Unglück durch leichtes Zusammenpressen der Lippen reagiert und seine Zigarette lautlos in den Kamin schnippt, stammt aus jüngerer Zeit.« [159]
Obwohl das
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