Gewalt
Venedig der Renaissance (wo Adlige und Priester begeistert mitmachten), der Zeitvertreib der Siouxindianer, bei dem Jungen den Gegner an den Haaren packten und ihm das Knie ins Gesicht drückten, Mannschaftskämpfe in Irland, die mit kräftigen, als
sillelaghs
bezeichneten Knüppeln aus Eichenholz ausgetragen wurden, der Sport des Schienbeintretens (der im Süden der Vereinigten Staaten im 19 . Jahrhundert beliebt war), bei dem die Gegner sich mit den Armen einhakten und gegenseitig gegen das Schienbein traten, bis einer zusammenbrach, und die vielen Formen der Faustkämpfe mit nackten Fingerknöcheln, deren typische Taktik man aus den heutigen Regeln des Boxsports ableiten kann (keine Kopfstöße, keine Tiefschläge, und so weiter). [1038]
In den letzten 50 Jahren jedoch läuft die Entwicklung den Jungen aller Altersstufen unmittelbar zuwider. Die Menschen haben zwar nichts von ihrem Geschmack für den Konsum vorgetäuschter, freiwillig erlittener Gewalt verloren, das gesellschaftliche Leben wurde aber so gestaltet, dass die reizvollsten Formen echter Gewalt verboten sind. Dies ist Teil einer Strömung in der abendländischen Kultur, die Gewalt in immer tieferen Bereichen der Größenskala ablehnt. Die in der Nachkriegszeit gewachsene Abscheu vor Formen der Gewalt wie Krieg und Völkermord, durch die Tausende und Millionen ums Leben kommen, übertrug sich auf Formen mit Hunderten, Dutzenden und einzelnen Opfern, wie Überfälle, Lynchjustiz und Hassverbrechen. Sie erweiterte sich von der Tötung auf andere Formen der Schädigung wie Vergewaltigung, Körperverletzung, Schläge und Einschüchterung. Sie dehnte sich auf Gruppen von Opfern aus, die in früheren Zeiten nicht zum Kreis der Schutzwürdigen gehörten, wie Rassenminderheiten, Frauen, Kinder, Homosexuelle und Tiere. Das Verbot des Dodgeball ist eine Wetterfahne für diesen Wind der Veränderung.
Die Bestrebungen, die Verlockungen der Gewalt zu stigmatisieren und in vielen Fällen zu kriminalisieren, wurden in Form einer ganzen Welle von Kampagnen für »Rechte« vorangebracht – Bürgerrechte, Frauenrechte, Kinderrechte, Rechte für Homosexuelle, Rechte für Tiere. Diese Bewegungen finden sich dichtgehäuft in der zweiten Hälfte des 20 . Jahrhunderts, und ich möchte sie gemeinsam als Revolutionen der Rechte bezeichnen. Wie ansteckend die Rechte in diesem Bereich sind, erkennt man in Abbildung 7 - 1 : Sie zeigt, welcher Anteil englischsprachiger, zwischen 1948 (als die Ära symbolisch mit der Erklärung der Menschenrechte begann) und 2000 erschienener Bücher die Ausdrücke
civil rights, women’s rights, children’s rights, gay rights
und
animal rights
enthält.
Abbildung 7 – 1 :
Verwendung der Begriffe civil rights, women’s rights, children’s rights, gay rights und animal rights in englischsprachigen Büchern von 1948 bis 2000
Zu Beginn des Zeitraumes waren die Begriffe
Bürgerrechte
und
Frauenrechte
bereits präsent, denn die Ideen waren seit dem 19 . Jahrhundert allgemein ins Bewusstsein gerückt. Die Erwähnung von Bürgerrechten (
civil rights
) ging zwischen 1962 und 1969 in die Höhe, in der Zeit der weitreichenden juristischen Siege der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Als sie wieder abflaute, begann der Aufstieg von »Frauenrechte« (
women’s rights
), gefolgt kurz danach von »Kinderrechte« (
children’s rights
); in den 1970 er Jahren erschienen dann die Rechte der Homosexuellen (
gay rights
) auf der Bildfläche, und kurz danach folgten die Rechte der Tiere (
animal rights
).
Diese zeitlich versetzten Anstiege sind aufschlussreich. Jede Bewegung knüpfte an den Erfolg ihrer Vorgänger an und übernahm einiges von deren Taktik, Rhetorik und – am wichtigsten – ethischer Begründung. Zwei Jahrhunderte zuvor, während der Humanitären Revolution, folgten Reformen in einer Welle dicht aufeinander; angeregt wurden sie durch intellektuelle Überlegungen über eingefahrene Sitten, und den Zusammenhalt lieferte ein Humanismus, der dem Gedeihen und Leiden des einzelnen Geistes einen höheren Stellenwert einräumte als Hautfarbe, Klasse oder Nationalität der Körper, in denen er zu Hause ist. Damals wie heute ist der Begriff der individuellen Rechte keine Ebene, sondern eine Rolltreppe. Wenn das Recht eines fühlenden Wesens auf Leben, Freiheit und Streben nach Glück nicht durch die Farbe seiner Haut beeinträchtigt werden darf, warum darf es dann durch andere unwichtige Eigenschaften wie Geschlecht, Alter,
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