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Gewalt

Gewalt

Titel: Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Pinker
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sexuelle Vorlieben oder auch Spezieszugehörigkeit beeinträchtigt werden? Träge Gewohnheiten oder brutale Macht verhindern möglicherweise zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten, dass Menschen diesen Gedankengang bis zu seiner logischen Schlussfolgerung durchdenken, aber in einer offenen Gesellschaft lässt sich der Impuls nicht aufhalten.
    In den Revolutionen der Rechte spielten einige Themen aus der Humanitären Revolution erneut eine Rolle, ebenso entfaltete sich aber erneut ein Aspekt des Zivilisationsprozesses. Während des Überganges zur Neuzeit konnten die Menschen nicht vollständig einschätzen, dass die Veränderungen, die sie erlebten, auf eine Verringerung der Gewalt abzielten, und nachdem die Veränderungen verwurzelt waren, geriet der Prozess in Vergessenheit. Als Europäer die Normen der Selbstkontrolle beherrschten, fühlten sie sich selbst zivilisierter und höflicher, aber sie hielten sich nicht für einen Teil einer Entwicklung, durch die sich die Mordstatistik abwärtsbewegte. Heute verwenden wir kaum einmal einen Gedanken auf die Begründung hinter den Sitten, die von jenem Wandel zurückgeblieben sind, wie die Abscheu vor Dolchangriffen beim Abendessen, deretwegen wir die Erbsen bis heute nicht mit dem Messer essen dürfen. Ebenso erinnert man sich in den konservativen Regionen der Vereinigten Staaten heute nicht mehr deshalb an die Heiligkeit der Religion und der »Familienwerte«, weil sie einst eine Taktik waren, um raufende Männer in Cowboysiedlungen und Bergarbeiterlagern zu besänftigen.
    Mit dem Verbot des Dodgeball schießt auch eine andere erfolgreiche Anti-Gewalt-Kampagne über das Ziel hinaus: die jahrhundertelangen Bestrebungen, die Misshandlung und Missachtung von Kindern zu verhindern. Das erinnert uns daran, wie Zivilisationsbemühungen in einer Kultur ein Erbe aus rätselhaften Sitten, Kavaliersdelikten und Tabus hinterlassen können. Die Benimmregeln, die wir von dieser und anderen Revolutionen der Rechte geerbt haben, sind so umfassend, dass man ihnen einen eigenen Namen gegeben hat. Wir bezeichnen sie als politische Korrektheit.
    Die Revolutionen der Rechte haben noch ein anderes seltsames Erbe hinterlassen. Da sie durch eine immer stärkere Sensibilität gegenüber neuen Formen der Schädigung vorangetrieben werden, verwischen sie ihre eigenen Spuren, so dass wir uns an ihre Erfolge nicht mehr erinnern können. Wie wir noch genauer erfahren werden, haben die Revolutionen uns in vielen Kategorien der Gewalt einen messbaren, beträchtlichen Rückgang beschert. Aber viele Menschen mögen die Siege nicht anerkennen – teilweise weil sie die Statistik nicht kennen, teilweise auch wegen einer schleichenden Mission, die ihre Vertreter veranlasst, die bereits erzielten Fortschritte zu leugnen und damit den Druck aufrechtzuerhalten. Die Rassendiskriminierung, die zum Anlass für die erste Generation der Bürgerrechtsbewegung wurde, fand ihren Ausdruck in Lynchjustiz, nächtlichen Überfällen, farbigenfeindlichen Pogromen und handgreiflicher Einschüchterung an der Wahlurne. In einer typischen Auseinandersetzung unserer Zeit geht es beispielsweise darum, dass afroamerikanische Autofahrer auf der Autobahn häufiger von der Polizei angehalten werden. (Als Clarence Thomas dieses Phänomen 1991 in seinem erfolgreichen, aber umstrittenen Plädoyer vor dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten als »Hightech-Lynchjustiz« bezeichnete, lieferte er ein Musterbeispiel für Geschmacklosigkeit; der Vorfall zeigt aber auch, wie weit wir bereits vorangekommen sind.) Zur Unterdrückung der Frauen dienten früher Gesetze, die es Ehemännern erlaubten, ihre Frauen zu vergewaltigen, zu schlagen und einzusperren; heute geht es um Eliteuniversitäten, deren ingenieurwissenschaftliche Fakultät männliche und weibliche Professoren nicht im Verhältnis von 50 zu 50 beschäftigt. Der Kampf für die Rechte der Homosexuellen ist von abstoßenden Gesetzen, nach denen homosexuelle Männer hingerichtet, verstümmelt oder ins Gefängnis geworfen wurden, zu abstoßenden Gesetzen vorangeschritten, die eine Ehe ausschließlich als Vertrag zwischen einem Mann und einer Frau definieren. All das bedeutet nicht, dass wir mit dem Status quo zufrieden sein oder die Bestrebungen, die verbliebene Diskriminierung und Misshandlung zu beseitigen, geringschätzen sollten. Es soll uns nur daran erinnern, dass das erste Ziel jeder Bewegung der Rechte darin besteht, ihre Nutznießer vor körperlicher Verletzung

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