Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gewalten

Gewalten

Titel: Gewalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
Vom Netzwerk:
Brust, ich trage ja nur ein Unterhemd, und dann, fragen Sie mich nicht, woher ich die Kraft nehme in diesem festgeschnallten Zustand, und dann fliegt der Lattenrost die paar Meter, wahrscheinlich weniger als das, Richtung Tür, bis dorthin haben meine Anstrengungen mich und das Bett gebracht, und weil das so schön aussieht, spule ich die Szene immer wieder vor und zurück, dieses Metallteil von meiner Brust Richtung Tür, zurück auf meine Brust, wieder in den Raum, hin und her, gehe direkt in das große Gebäude draußen auf dem Feld, begib dich direkt dorthin, gehe nicht über Los und ziehe nicht 4000 DM ein ... Und was ist das für ein herrlicher Lärm, als das Geschoss an der Tür detoniert und in einer zweiten, zeitverzögerten Detonation auf die Fliesen kracht. Gäbe es eine Weltmeisterschaft im Bettreiten, dann würde ich in der Disziplin des Kurzstreckensprints in geschlossenen Räumen hoch überlegen gewinnen, so wie das Wunderpferd
Overdose
im Jahr 2009 in ganz Europa wieder konkurrenzlos sein wird auf der Kurzdistanz, vier, fünf und mehr Längen in Front und durchs Ziel, »eine Laune der Natur«, sagt sein Trainer,
Die Goldene Peitsche
in Baden-Baden gewonnen 2008 , der wunderbare
Overdose,
der nur ein paar tausend Euro gekostet hat, den lange keiner auf der Rechnung hatte, weil seine Abstammung fraglich war, der den Prix de l’Arc de Triomphe (mein liebstes Buch von Remarque,
Arc de Triomphe
, dort trinken sie Calvados um Calvados, immer nur Calvados, habe ich nicht auch Calvados getrunken irgendwann in dieser Nacht?) im selben Jahr gewonnen hätte und eigentlich hat und Bahnrekord lief gegen die weltbesten Sprinter, aber dann war das Rennen ungültig, wegen eines Fehlstarts, den nicht alle Jockeys registrierten, und gut die
Hälfte des Feldes ging auf die Reise, und ich bekam all mein Geld zurück, eine Monatsmiete immerhin, aber wenn das Rennen gültig gewesen wäre, hätte ich fünf Monatsmieten bezahlen können; aber was ich nicht wissen kann, während ich in Sekundenbruchteilen an der Tür bin und den Lattenrost wieder auf meine Brust zerre, schreiend, weil mir alles weh tut dabei, dass das Wunderpferd
Overdose
verletzt sein wird, den Besitzer wechselt, nach England geht, und nur einmal an den Start 2009 , Mailand, 1000 Meter, Gruppe III , acht Längen und acht Welten besser als der Rest, und wieder reite ich zurück und schleudere aus der Distanz den metallenen Rahmen gegen die Tür, das ist ein Fest, ein Fest der Angst zugleich, »Lasst mich hier raus, ihr Schweine!«
    Und ich beschließe, endlich
hier
zu sein, nicht mehr Räume und Zeiten in diesem Tempo zu durcheilen, denn mir ist schwindlig, und ich bin im Zustand einer Verwirrung, aber ich muss hier sein, denn es tut sich was, Schritte. Draußen. Der Lärm hat endlich eine Reaktion hervorgerufen, hat sie an meine Existenz erinnert. Schritte. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich dieses Teil geschleudert habe, der Lärm ist noch da, verhallend, braucht lange, um aus diesen geschlossenen Räumen ganz hinauszufinden, damit wieder Ruhe herrscht, dieselbe Ruhe, die dort war, bevor ich kam.
    Ich reite ein Stück zurück. Die Tür öffnet sich. Eine Frau in Weiß, ziemlich dick, ziemlich groß. Und noch größer wird sie, als sie ein paar Schritte durch den Raum geht. Sie steht genau unter der flackernden Neonröhre, sie trägt eine weiße Haube auf dem Kopf. Sie blickt mich an, dann schaut sie auf den Lattenrost, der neben ihr liegt. »Was machen Sie hier für einen Lärm.« Sie fragt nicht, sie stellt es fest.
    »Ich ...« Jetzt erst spüre ich, dass meine Kehle so ausgetrocknet ist, dass ich nur noch krächzen kann. »Ich will ...«
    »Sie sollten aufhören zu randalieren.« Sie bewegt kaum den Mund, wenn sie spricht. Und wenn sie nicht spricht und mich anschaut, ist ihr Gesicht ganz konturlos und ihr Mund ein Strich. Und mit aller Kraft, die ich habe, und meine Zunge ist wie die vertrocknete abgeworfene Haut einer Schlange: »Ich möchte telefonieren.«
    »Sie sollten jetzt aufhören zu randalieren.«
    »Ich habe das Recht auf ein Telefonat.«
    Sie schaut mich an, und der Strich bleibt ein Strich: »Sie haben überhaupt keine Rechte, wenn Sie sich nicht benehmen können.«
    Und das muss so eine Art Zauberformel sein, lebensspendend für diese verdorrte Hülle in meinem Mund, die plötzlich wieder feucht und geschmeidig wird, durch die Mundhöhle flitzt und sich genug Schleim zusammenzüngelt, und ich höre ein Geräusch wie das Husten eines

Weitere Kostenlose Bücher