Gewalten
Tuberkulosekranken, das bin ich, und dann spucke ich dieser großen, dicken Frau in Weiß über zwei, drei Meter hinweg ins Gesicht, und ich finde, dass das eine noch größere Leistung ist als die Sprints mit dem Bett und der Flug dieses Phönix Richtung Tür, der metallen neben ihr liegt unter dem zuckenden Licht. Sie dreht sich um und geht.
Und dann die Stille. Ihre Schritte vor der Tür sind schnell wieder weg, und nur das Summen der Neonröhren und das Geräusch meines Atems sind noch da. Und auch das wird immer leiser, und ich liege, bewege mich nicht und lausche in diese Stille. Wie lange werde ich hier liegen müssen, wann werden sie mich wieder losmachen? Wie lange kann ein Mensch angebunden auf einem Bett ausharren, bevor er verrückt wird oder Teile seines Körpers
und seines Geistes sich ausschalten? Lange, denke ich und denke an Menschen, die über Stunden und Tage und Wochen und Monate eingepfercht sind. Auf und ab gehen, das ist doch, verdammt nochmal, das mindeste, was man einem Menschen gestatten sollte, auch wenn er eingesperrt ist. Das Gefängnis, der Knast, das Eingesperrtsein schien mir immer mein Schicksal zu sein, schon meine Mutter drohte mir als Kind mehrfach mit Jugendwerkhof und Heim, aber vielleicht denke ich mir das jetzt nur aus zugunsten der Dramatik. Nemesis.
Star Trek
–
Nemesis
. Ein Planet am Rande der neutralen Zone, das Raumschiff Enterprise empfängt fremdartige Signale, Teile eines Androiden werden gefunden, ein Klon des Kapitäns entsteht ...
»Ich rufe Dich, Nemesis! / Höchste! / Göttlich waltende Königin!«
Damokles. (Phönix – Nemesis – Damokles. Komm schnell zurück zur Erde, Ikarus!, bevor die Sonne der Antike dir den Arsch verbrennt, und wenn du dort oben nicht angerußt wirst, da unten, bei deiner Rückkehr, wirst du zermalmt, denn du landest, aber das kannst du nicht wissen, genau dort, wo der alte Sisyphos seinen gewaltigen Stein rollt.) Ich bin auf der vollkommen falschen Spur, aber draußen höre ich jetzt wieder Schritte, viele, da kommen
welche
.
»Und nimmer entzieht sich Dir die Seele / Hochmütig und stolz / Auf den verschwommenen Schwall der Worte. / In alles schaust Du hinein, / Allem lauschend, alles entscheidend. / Dein ist der Menschen Gericht.«
Die Schritte werden lauter, aber ich liege und rühre mich nicht. Die Tür wird geöffnet.
Ein Kissen ist das Erste, was ich sehe, in der Tür. Die dicke, große Frau in Weiß hält dieses Kissen, das auch
weiß ist, wie sollte es anders sein. Sie trägt es vor sich her wie einen Schild. Sie läuft nicht besonders schnell, aber mit Nachdruck, würde ich sagen, und sie ist nicht allein. Hinter ihr drei Männer, jung, auch in Weiß, einer davon mit Zopf. Sein Zopf pendelt bei diesem energischen Gehen von einer Schulter zur anderen. Komm nur, mein Junge, denke ich und will mich aufrichten, schnell hab ich dich an deinem Zopf gepackt. Das Kissen nähert sich meinem Gesicht. Bevor sie zudrückt, blicke ich ganz kurz in
ihr
Gesicht. Was soll ich sagen, da ist nichts, nur eine bleiche Leere. Ich kann ihre Ellenbogen spüren, sie liegt in ihrer ganzen Schwere auf mir. Ich will atmen und kann es nicht. Ich will schreien und kann es nicht. Ich will meine Hände benutzen und kann auch das nicht. Ich spüre Hände auf meinen Schultern, an meinen Armen. Jemand reibt etwas Kühles in meine rechte Armbeuge. Meine Hilfeschreie gurgeln in das Kissen. Ich weiß, dass ich jetzt sterben muss. Keine Luft. Meine Beine zucken, alles zuckt und wehrt sich, aber die drei Männer halten mich fest, und das Kissen immer noch auf meinem Gesicht. Ganz kurz sehe ich mich von oben, wie sie mich halten, aber ich weiß, dass ich mich nicht von oben sehen darf. Etwas unglaublich Dünnes fährt mir kühl in den Arm. Ich spüre, wie es tief in meiner Ader steckt, viel zu starr für dieses weiche und biegsame Blutgefäß. Und da ich mich bewege, viel mehr noch: da ich kämpfe, um nicht zu ersticken, da ich zu ersticken glaube, stößt dieser dünne Fremdkörper gegen die Wände in meinem Blutgefäß, und die feine Spitze ritzt mir Zeichen ein von innen. Etwas Warmes schießt in meinen Arm. Das Kissen geht nicht weg, und mir ist, als würde ich ertrinken, immer tiefer sinken in einem dunklen Waldsee. Tote Bäume um das Ufer, stehen halb im Wasser.
Die Stämme sind weiß. Viel Schatten, das Wasser ist dunkel, und ich sinke immer tiefer.
Als Kind, da war ich vielleicht zehn oder elf, bin ich fast ertrunken. Ich hatte ein Schiff gebaut aus
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