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Gewalten

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Titel: Gewalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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der Teddybär, der hat es wirklich ziemlich schwer ...Wenn ich mich umdrehe, habe ich Angst, dass da zwei kleine Mädchen Hand in Hand stehen, mitten in meinem
Arbeitszimmer
, und mich mit großen Augen anblicken. Wie in diesem Film, den wirst du nicht kennen,
Shining
. Weißt du, was das ist, dieses »Shining«, um das es in diesem Film geht? Ganz ähnlich, wie ich vorhin mit dieser dünnen langen Nadel ... Bilder und Töne, Telepathie, verstehst du? Aber dafür sind wir beide nicht begabt, hoffe ich. Und ich in der Wohnung, und du in der Wohnung, und sie in der Wohnung. Ja warum
zwei
kleine Mädchen wirst du mich fragen, wo du doch nur diese eine in dein Herz geschlossen hast und so anhänglich wurdest, dass alles andere ... Kann ich dir gar nicht so genau sagen. Da gibt’s eine kleine Bar, im Bahnhofsgebäude, Hauptbahnhof Leipzig, wo die Toten sitzen, da hab ich sie mal gesehen, und da war diese andere Kleine bei ihr ... aber doch, Mensch, du musst auch
die
kennen, war ihr Erschaffer doch bei dir im Bau, also Erschaffer meint jetzt nur, dass sie durch seine
Schuld
in dieser Bar gewesen ist.
Back to the roots.
Und du hast dich doch im Knast mit ihm getroffen, nun ja, getroffen ist vielleicht das falsche Wort, aber der Typ war der Einzige, bei dem sie sich getraut haben, ihn mit dir zusammenzubringen. Weil sie doch verhindern müssen, dass du vereinsamst, es gibt so ein Fremdwort dafür, wenn die Leute unter der Isolation durchdrehen und vollkommen abbauen, das fällt mir grad nicht ein. Und deshalb durftest du ab und an mal mit dem ein Schwätzchen halten, zusammen essen und so, weil der ja genauso gefährdet war wie du, also im Hinblick auf Vereinsamung und Totgeschlagenwerden, oder sagen
wir zumindest Angegriffenwerden. Denn ihr wart euch nicht ganz unähnlich, obwohl der Typ Ende dreißig war, ich meine, wahrscheinlich wart ihr ganz und gar verschieden, aber diese eine Sache, die alles, aber auch alles verändert hat ... Vor allem für die Mädchen natürlich, die ich dann in dieser Bar gesehen habe, wo man Dinge sieht, die man nicht sehen soll, aber deswegen bin ich ja heute hier, weißt du. DIE CHRONOLOGIE DES DRAMAS .
    Ich geb’s zu, ich bin ein Zocker. Ein Spieler. Setze gern auf Pferde. Tippe gern die Gewinner, und den Zweiten und den Dritten. Das ist eine Sache von Wahrscheinlichkeiten, verstehst du. Berechnungen, das reden wir uns ein, Berechnungen, Statistiken und Wahrscheinlichkeiten. Aber in Wirklichkeit geht es auch um so etwas Profanes wie das flatterhafte Glück und den Zufall. Vor kurzem war ich bei einem Rennen, da hat das Pferd den Jockey abgeworfen kurz nach dem Start, und dieser treue Gaul galoppierte und galoppierte, weil er ja nichts anderes konnte und kannte ... aber ich wollte dir von dem Rennen erzählen, in dem mein Lieblingspferd, obwohl, das ist zu viel gesagt, denn ich habe da ein paar Lieblingspferde,
Mharadonno
,
Overdose
(das Wunderpferd aus Ungarn),
Secret Affair
,
Traumsternchen
,
Deep Sleep
,
Westfalensturm
... JETZT IST SIE EIN STERN AM HIMMEL . Kinder mögen Pferde.
    Aber ich meine mein Lieblingspferd
Califax
, den hab ich sehr gern, denn er hat einmal ein Rennen gewonnen, das hieß »Clemens Meyer Cup«. Ich hatte den Burschen schon paar Wochen davor mal auf Sieg gesetzt, zweihundert Euro, ja, eine Menge Geld, nicht wahr? Und da ist er nur Zweiter geworden. Da hat er’s nicht ganz geschafft. Und dann ist da dieses andere Rennen, von dem ich dir erzählen will, gute Siegeschancen hat er. Also von der Wahrscheinlichkeit
her kann er, ziemlich sicher sogar, denn er kennt und mag die Bahn in der Stadt L, als Erster durchs Ziel gehen. Und dann, BUMM , kommen die Pferde aus der Startmaschine, und sofort fällt mein Boy zurück. Da stimmt was nicht, denke ich. Und so ist es auch, er wird angehalten, Knochen und Sehnen kaputt, das Rennen geht weiter ohne ihn, das sind eben die Wenns, die Wenns, die Wenns. Was das mit dir zu tun hat, fragst du? Mit
ihr
und mit dir. Ich weiß auch nicht, wie ich drauf komme, aber das sind so Dinge, die gehen durch einen durch und durch, und da muss man, muss man einfach drauf reagieren, also es aussprechen. Denn da stehe ich hinter dir, also nicht direkt hinter dir, denn du bist noch in dem anderen Zimmer, und ich relativ weit hinten im Flur dieser Wohnung, in der du mit deiner Mutter wohnst, die jetzt nicht da ist. Nein, du kannst mich nicht sehen, denn das Band läuft und läuft, der Projektor rattert, Lichtblitze an den Blickfeldrändern, und ich

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