Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition)
Lektion im gewaltlosen Leben. Wie kann ich das vergessen?
Unter vielen Dingen lernte ich von meinem Großvater, die Gewaltlosigkeit in ihre Tiefe und Breite zu verstehen und anzuerkennen, daß wir alle gewalttätig sind und daß es darum geht, unsere Einstellungen grundlegend zu ändern. Wir sehen unsere eigene Gewalttätigkeit oft nicht, weil wir sie ignorieren. Wir halten uns nicht für gewalttätig, weil wir uns unter Gewalt einen Kampf, einen Mord, eine Schlägerei und Kriege vorstellen – alles Dinge, die „normale“ Menschen „normalerweise“ nicht tun.
Mein Großvater ließ mich einen Stammbaum der Gewalttätigkeit zeichnen, der genauso wie ein Familien-Stammbaum aufgebaut war. Sein Argument dafür war, daß ich zu einer besseren Wertschätzung der Gewaltlosigkeit kommen könnte, wenn ich die Gewalt, die in der Welt existiert, wahrnehme und verstehe. Jeden Abend half er mir, die Geschehnisse des Tages zu analysieren – alles, was ich erlebt oder gelesen hatte, was ich gesehen oder anderen angetan hatte. Das wurde dann in den Baum eingetragen, entweder unter „körperlich“ (wenn es sich um körperliche Gewalt handelte) oder unter „passiv“ (wenn es eher eine emotionale Verletzung war).
Innerhalb weniger Monate war eine Wand in meinem Zimmer bedeckt mit Handlungen von „passiver“ Gewalt, die mein Großvater als heimtückischer erachtete als „körperliche“ Gewalt. Er erklärte dann, daß passive Gewalt letztendlich Ärger im Opfer erzeugt, das daraufhin gewalttätig reagiert, sei es als Individuum oder in einer Gruppe. Mit anderen Worten: Es ist die passive Gewalt, die Öl in das Feuer der körperlichen Gewalt gießt. Weil wir diesen Zusammenhang nicht verstehen oder ihn nicht anerkennen, tragen alle unsere Friedensbemühungen entweder keine Früchte, oder sie sind von kurzer Dauer. Wie können wir ein Feuer löschen, wenn wir nicht zuerst die Ölleitung kappen, die das Inferno entzündet?
Großvater betonte immer lautstark, wie wichtig es ist, gewaltfrei zu kommunizieren – das verwirklicht Marshall Rosenberg seit vielen Jahren auf bewundernswerte Weise in seinen Schriften und in seinen Seminaren. Mit großem Interesse habe ich Mr. Rosenbergs Buch Gewaltfreie Kommunikation – Eine Sprache des Lebens gelesen, und ich bin beeindruckt von der Tiefe seiner Arbeit und von der Einfachheit seiner Lösungswege.
Gewaltlosigkeit ist keine Strategie, die man heute anwendet und morgen wieder fallen läßt, und sie ist auch nichts, das einen klein oder schwach macht. In der Gewaltlosigkeit geht es darum, negative Einstellungen, die uns beherrschen, in positive Einstellungen umzuwandeln. Alles, was wir tun, geschieht aus selbstsüchtigen Motiven heraus, so sind wir konditioniert. „Was springt für mich dabei heraus?“ – das wird in einer überwältigend materialistisch orientierten Gesellschaft gefördert, die sich den verbissenen Individualismus auf die Fahnen geschrieben hat. Keine dieser negativen Vorstellungen ist für den Aufbau einer homogenen Familie, Gemeinde, Gesellschaft oder Nation nützlich.
Es kommt nicht darauf an, daß wir in Krisen zusammenstehen und unseren Patriotismus mit dem Hissen einer Flagge zum Ausdruck bringen; es reicht nicht, eine Supermacht zu werden, die sich ein Waffenarsenal anlegt, mit dem diese Erde vielfach zerstört werden kann; es ist nicht genug, uns den Rest der Welt durch unsere militärische Macht zu unterwerfen, denn Frieden kann nicht auf Angst aufgebaut werden.
Gewaltlosigkeit heißt, daß wir dem Positiven in uns Raum geben. Lassen wir uns lieber von Liebe, Respekt, Verständnis, Wertschätzung, Mitgefühl und Fürsorge für andere leiten als von den selbstbezogenen und selbstsüchtigen, neidischen, haßerfüllten, mit Vorurteilen beladenen, mißtrauischen und aggressiven Einstellungen, die unser Denken für gewöhnlich dominieren. Wir hören oft, daß Menschen sagen: „Diese Welt ist rücksichtslos, und wenn man überleben will, muß man eben auch rücksichtslos sein.“ Da bin ich ganz bescheiden anderer Meinung.
Die Welt ist das, was wir aus ihr gemacht haben. Wenn sie heutzutage rücksichtslos ist, dann liegt es daran, daß wir sie durch unsere Einstellungen rücksichtslos gemacht haben. Ändern wir uns selbst, dann können wir die Welt ändern. Und eine Veränderung unserer selbst beginnt mit einer Veränderung unserer Sprache und unserer Art, zu kommunizieren. Ich lege Ihnen sehr ans Herz, dieses Buch zu lesen und den Prozeß der Gewaltfreien
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