Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition)
den Mund aufzumachen. Was geschah also? Sie täuschte Schmerzen im Bauch vor und blieb standhaft dabei. Ihre Eltern gingen mit ihr zu verschiedenen Ärzten. Keiner konnte eine Diagnose stellen, und so sprachen sie sich schließlich für eine Art Untersuchungsoperation aus. Meine Mutter ging volles Risiko ein, aber es funktionierte – sie bekam genau die gleiche, kleine Geldbörse geschenkt! Als sie das Objekt der Begierde in den Händen hielt, war sie begeistert trotz der Qualen durch die Operation. Da kamen zwei Schwestern herein. Eine steckte ihr ein Thermometer in den Mund. Meine Mutter sagte: „Mmmmm, mmmmm“, um der zweiten Schwester ihr Täschchen zu zeigen, worauf diese antwortete: „Oh, für mich? Ja, so was, vielen Dank!“ und nahm das Täschchen! Meine Mutter wußte nicht, was sie tun sollte, und sie bekam nie heraus, wie sie ihr Anliegen: „Ich wollte es Ihnen gar nicht schenken. Bitte geben Sie es mir wieder zurück.“ hätte ausdrücken können. In dieser Geschichte wird unverkennbar auf den Punkt gebracht, wie schmerzlich es sein kann, wenn man nicht offen zu seinen Bedürfnissen steht.
Von emotionaler Sklaverei zu emotionaler Befreiung
In unserer Entwicklung hin zur emotionalen Befreiung scheinen die meisten von uns drei Stadien in ihrer Kommunikation mit anderen zu durchleben.
Stadium 1: In diesem Stadium, das ich als emotionale Sklaverei bezeichne, glauben wir an unsere Verantwortung für die Gefühle anderer. Wir meinen, wir müßten uns ständig darum kümmern, daß alle glücklich sind. Wenn sie keinen glücklichen Eindruck machen, fühlen wir uns verantwortlich und gezwungen, etwas dagegen zu tun. Das kann leicht dazu führen, daß die Menschen, die uns am nächsten stehen, eine Last für uns sind.
Erstes Stadium - emotionale Sklaverei: Wir übernehmen die Verantwortung für die Gefühle anderer.
Die Verantwortung für die Gefühle des anderen zu übernehmen kann sich in intimen Beziehungen sehr zerstörerisch auswirken. Routinemäßig höre ich Variationen des folgenden Themas: „Ich habe große Angst davor, mich auf eine Beziehung einzulassen. Jedesmal wenn ich mitbekomme, daß meinem Partner etwas wehtut oder daß ihm etwas fehlt, bin ich überwältigt. Ich fühle mich wie im Gefängnis, als ob ich ersticke – und ich muß einfach so schnell wie möglich raus aus der Beziehung.“ Diese Reaktion ist sehr verbreitet unter denen, die Liebe als Verleugnung der eigenen Bedürfnisse erleben, um auf die Bedürfnisse der Geliebten einzugehen. Am Anfang einer Beziehung gehen die Partner normalerweise aus einem Gefühl von Freiheit heraus fröhlich und einfühlsam miteinander um. Die Beziehung ist aufregend, spontan, wundervoll. Nach und nach jedoch, wenn es mit der Beziehung „ernst“ wird, fangen die Partner damit an, die Verantwortung für die Gefühle des anderen zu übernehmen.
Wenn ich ein Partner bin, dem klar ist, was er da tut, kann ich die Situation ernst nehmen, indem ich sage: „Ich kann es nicht ertragen, wenn ich mich in einer Beziehung verliere. Wenn ich den Schmerz meiner Partnerin sehe, verliere ich mich, und dann muß ich mich einfach freikämpfen.“ Wenn ich aber noch nicht auf dieser Bewußtseinsebene bin, werde ich meiner Partnerin vermutlich die Zerstörung unserer Beziehung vorwerfen, z.B. mit den Worten: „Meine Partnerin ist so bedürftig und abhängig, das macht unsere Beziehung kaputt.“ In einem solchen Fall wäre meine Partnerin gut beraten, die Anspielung, daß irgendwas mit ihren Bedürfnissen nicht stimmt, von sich zu weisen. Es würde eine unglückliche Situation nur verschlimmern, wenn sie den Vorwurf akzeptiert. Statt dessen könnte sie eine empathische Reaktion anbieten, um den Schmerz meiner emotionalen Sklaverei anzusprechen: „Du bist also in Panik? Es fällt dir sehr schwer, bei der tiefen Verbindung und Liebe zwischen uns zu bleiben, ohne sie in Verantwortung, Pflicht und Schuld zu verwandeln? Du merkst, wie deine Freiheit immer weniger wird, weil du denkst, du müßtest dich permanent um mich kümmern?“ Wenn sie jedoch anstelle einer einfühlsamen Reaktion sagt: „Bist du unter Streß, weil ich zu viele Forderungen an dich gestellt habe?“, dann bleiben wir beide sehr wahrscheinlich weiterhin in die emotionale Sklaverei verstrickt, was das Überleben der Beziehung umso schwerer macht.
Stadium 2: In diesem Stadium wird uns klar, wie teuer wir dafür bezahlen, wenn wir die Verantwortung für die Gefühle anderer übernehmen und sie auf
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