Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition)
unsere Kosten zufriedenstellen. Wenn wir merken, wieviel wir von unserem Leben versäumt und wie wenig wir auf den Ruf unserer inneren Stimme gehört haben, werden wir vielleicht wütend. Ich nenne dieses Stadium im Spaß das rebellische Stadium, weil wir dazu neigen, rebellische Kommentare abzugeben: „Das ist dein Problem! Ich bin nicht verantwortlich für deine Gefühle!“, wenn uns jemand anders seinen Schmerz zeigt. Wir sind jetzt soweit, daß wir uns nicht mehr für jemanden verantwortlich machen. Wir müssen aber noch lernen, wie man sich anderen gegenüber verantwortlich verhält, ohne sich emotional zu versklaven.
Zweites Stadium – „rebellisch“: Wir ärgern uns; wir wollen für die Gefühle anderer nicht länger verantwortlich sein.
Wenn wir das Stadium der emotionalen Sklaverei allmählich hinter uns lassen, begleiten uns beim Erkunden unserer Bedürfnisse vielleicht noch Reste von Angst und Schuld. Da überrascht es nicht, wenn wir unsere Bedürfnisse auf eine Art zum Ausdruck bringen, die für andere hart und unnachgiebig klingt. In der Pause eines Workshops z. B. drückte eine junge Frau ihre Freude aus über die Einsichten, die sie über ihre eigene emotionale Sklaverei gewonnen hatte. Als der Workshop weiterging, schlug ich der Gruppe eine Übung vor. Dieselbe junge Frau erklärte sehr bestimmt: „Ich würde lieber etwas anderes machen.“ Ich merkte, daß sie ihr wiedergewonnenes Recht auf ihre Bedürfnisse sprechen ließ – auch wenn sie damit in Widerspruch zu den anderen stand.
Um sie zu ermutigen und herauszufinden, was sie genau wollte, fragte ich sie: „Möchtest du etwas anderes tun, auch wenn das mit meinen Bedürfnissen in Konflikt kommt?“ Sie dachte einen Moment nach und stotterte dann: „Ja ... äh ... ich meine nein.“ Ihre Verwirrung im „rebellischen“ Stadium macht deutlich, daß wir noch begreifen müssen, daß emotionale Befreiung viel mehr bedeutet, als einfach nur auf den eigenen Bedürfnissen zu bestehen.
Ich erinnere mich an eine Situation aus der Zeit, als meine Tochter Marla die emotionale Befreiung durchmachte. Sie war immer das „brave, kleine Mädchen“ gewesen, das seine eigenen Bedürfnisse verleugnete, um die Wünsche der anderen zu erfüllen. Als mir klar wurde, wie oft sie ihre eigenen Anliegen überging, um anderen zu gefallen, sprach ich mit ihr darüber, wie sehr es mir gefallen würde, wenn sie öfter ihre eigenen Wünsche ausspricht. Als wir zum ersten Mal über das Thema sprachen, weinte Marla. „Aber, Papa, ich möchte niemanden enttäuschen!“ protestierte sie hilflos. Ich versuchte Marla klarzumachen, wie ihre Ehrlichkeit ein größeres Geschenk für andere sein kann, als sich ihnen anzupassen, um Ärger zu vermeiden. Ich zeigte ihr auch Möglichkeiten auf, wie sie mit Leuten, die sich aufregten, einfühlsam umgehen konnte, ohne daß sie die Verantwortung für deren Gefühle übernahm.
Kurz darauf sah ich den Beweis, daß meine Tochter anfing, ihre Bedürfnisse offener auszudrücken. Ihr Direktor rief bei uns zu Hause an, offensichtlich irritiert über ein Gespräch mit Marla, die mit einer Latzhose in die Schule gekommen war. „Marla,“ hatte er gesagt, „junge Frauen ziehen so etwas nicht an.“ Worauf Marla geantwortet hatte: „Scheiß’ drauf!“ Das war ein Grund zum Feiern: Marla hatte bestanden – sie war von der emotionalen Sklaverei zum rebellischen Stadium aufgestiegen! Sie lernte, ihre Bedürfnisse auszudrücken und zu riskieren, daß sie sich mit der Unzufriedenheit der anderen auseinandersetzen mußte. Sie mußte ihre Bedürfnisse natürlich noch etwas gefälliger artikulieren und so zum Ausdruck bringen, daß auch die Bedürfnisse anderer respektiert wurden, aber ich war zuversichtlich, daß ihr das auch noch gelingen würde.
Stadium 3: Im dritten Stadium, der emotionalen Befreiung, reagieren wir auf die Bedürfnisse anderer aus Mitgefühl heraus, niemals aus Angst, Schuld oder Scham. Deshalb löst das, was wir machen, Zufriedenheit in uns aus, und das gleiche geschieht mit denen, die unser Angebot annehmen. Wir übernehmen die volle Verantwortung für unsere Absichten und unsere Handlungen, aber nicht für die Gefühle anderer Menschen. In diesem Stadium ist uns bewußt, daß wir unsere Bedürfnisse niemals auf Kosten anderer erfüllen können. Zur emotionalen Befreiung gehört, daß wir klar aussprechen, was wir brauchen, auf eine Weise, die deutlich macht, daß uns die Bedürfniserfüllung anderer Menschen
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