Gewitterstille - Kriminalroman
Waschküche fand. Vielleicht irrte sie sich. Sie lief wieder hinauf. Bis ihre Mutter endlich heimkam, würde noch eine ganze Ewigkeit vergehen. Sie konnte nicht anders, sie musste den Brief lesen, um Gewissheit zu haben. Aber nicht dort oben, nicht in seinem Zimmer. Sie nahm ihn mit nach unten, schaltete das Oberlicht im Wohnzimmer ein und setzte sich in einen Sessel der Couchgarnitur. Sie knipste die Leselampe an, und der weinrote Lampenschirm warf gespenstische Schatten auf die gemusterte Tapete. Petra öffnete den Umschlag und fand darin einen langen Brief, den ihr Vater mit Füllhalter in seiner typischen unruhigen Handschrift verfasst hatte.
Liebe Luise,
wenn Du diesen Brief liest, bin ich bereits tot.
Obwohl Petra mit diesem Inhalt gerechnet hatte, schrie sie auf. Sie überflog die teils wirren Zeilen. Er schrieb von seiner Familie und davon, dass er nicht vorhatte, wie sein Vater in einem Irrenhaus zu sterben.
Petra las den Brief wieder und wieder, bevor sie ihn auf dem Wohnzimmertisch neben dem Adventskranz mit den roten Kerzen ablegte und an die Terrassentür trat. Sie schaltete die Leuchte auf der Rückseite des Hauses an und sah den Schneeflocken zu, die im Wind zu tanzen schienen. Das Gartenhaus! Petra rannte in die Küche, griff nach der Taschenlampe, lief zurück und leuchtete hinaus. Die große Eiche stand am Ende des Gartens, und ihre schweren, schneebedeckten Äste ragten über das Gartenhaus. Die Tür stand offen. Petra lief hinaus und spürte kaum, wie der Schnee ihre Hausschuhe durchnässte. Sie fröstelte mehr vor Angst als vor Kälte, während sie hinüberhastete. Endlich fiel der Schein ihrer Taschenlampe durch die kleine Tür. Sie sackte auf der Schwelle zusammen, als der Lichtkegel sein Gesicht streifte. Er saß in einem Gartenstuhl und starrte sie mit aufgerissenen Augen an. Sein Mund stand offen, und sein Kopf lehnte bizarr verdreht an der Seitenwand des Holzhauses. Die Pistole, die ihm ein schwarzes, klaffendes Loch in die Schläfe gebrannt hatte, lag neben ihm auf dem Boden unterhalb seiner schlaffen, geisterhaft weißen Hand. Er trug seinen gestreiften Bademantel und Pantoffeln. Petra konnte nicht aufhören, ihn anzustarren. Plötzlich musste sie wieder an das Geschenk ihrer Mitschüler denken – und sie brach in hysterisches Gelächter aus.
26. Kapitel
G leich nachdem Janina angerufen hatte, um ihr vondem Telefonat mit Sophie zu berichten, hatte Anna Kommissar Braun benachrichtigt. Es waren sofort alle Hebel in Bewegung gesetzt worden, um herauszufinden, von welchem Ort aus Sophie Janina per Handy angewählt hatte. Die Ortung des Apparats, die man bereits unmittel bar nach Sophies Verschwinden erfolglos versucht hatte, war erneut ohne Ergebnis geblieben. Sophie hatte ihr Gerät wieder abgeschaltet, und der Anschluss war nicht mehr erreichbar. Immerhin bot sich nun, nachdem Sophie telefoniert hatte, die Möglichkeit, den Netzbetreiber zu ermitteln, über den die Einwahl erfolgt war, um so eine ungefähre Standortbestimmung zu erhalten.
»Wir haben weitere vielversprechende Nachrichten«, berichtete Kommissar Braun, als Anna zwei Tage später das Kommissariat aufsuchte, um Neuigkeiten zu er fahren.
»Asmus ist mit einem Leihwagen unterwegs, den er auf die Personalien seines Mitbewohners angemietet hat. Wir haben inzwischen auch die Fahrzeugdaten.«
Anna sah Braun aus ihren dunklen Augen an und war kurz sprachlos. »Noch ein Fluchthelfer?«
Braun winkte ab. »Nein, offenbar hat Asmus seinem Mitbewohner die Papiere geklaut. Der behauptet jedenfalls, nichts davon gewusst zu haben. Nachdem wir aufgrund von Janina Lachmanns Hinweis sicher sein konnten, dass die zwei mit einem Leihwagen unterwegs sind, haben wir über die gängigen Mietwagenfirmen recherchiert, welche Langzeitmietverträge kurz vor Asmus’ Verschwinden in Lübeck abgeschlossen worden sind. Dabei sind wir auf die Personalien des uns bekannten Zeugen gestoßen. Wenn Asmus den Wagen weiterhin nutzt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir ihn kriegen.«
»Wenn er noch in Deutschland ist«, merkte Anna kritisch an.
»Davon gehen wir im Moment nicht aus«, schaltete Bendt sich ein. »Sophies leibliche Mutter hat gestern Kontakt zu uns aufgenommen. Sophie hat ihr geschrieben. Es hat den Anschein, als ob sie sich entschlossen hätte, zu ihr zu fahren, und dorthin unterwegs ist.«
»Das ist ja wunderbar.« Anna war trotz ihrer Sorge um Sophie sehr glücklich über diese Nachricht. Sie griff nach dem Blatt Papier, das
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