Gewitterstille
geworden, die ihre Mutter über Jahrzehnte bei der Hausarbeit getragen hatte und die ihm nun die Kehle zugeschnürt hatte. Petra hatte hysterisch aufgeschrien, als das tote, kalte grünlich braune Ungetüm ihren Handrücken gestreift hatte. Sie war wie von Sinnen die Kellertreppe nach oben gestolpert, hatte dabei fast den Halt verloren und wäre in die Hölle zurückgestürzt, wenn sie nicht in letzter Sekunde das Treppengitter ergriffen und sich nach oben gerettet hätte. Zitternd und vor Ekel keuchend streifte sie nun im Badezimmer des Obergeschosses mit spitzen Fingern ihre Kleidung ab. Es gelang ihr, jeden Kontakt ihrer Bluse oder gar ihres Körpers mit der Stelle ihrer Hand zu vermeiden, wo das glitschige Tier ihre Haut berührt hatte. Sie fixierte den Punkt unterhalb ihrer Fingerkuppen, den sie als kalt und schmerzend empfand, während sie den Hahn der Dusche aufdrehte. Es dauerte eine Weile, bis das Wasser endlich heiß wurde und über die hellblauen, mit Blumen verzierten Fliesen in den Abfluss des Duschbeckens rann. Petras Schläfen pochten, und sie spürte, dass die Migräne wie ein bösartiges Reptil ihren Nacken hinaufkroch. Sie streckte zunächst nur den Arm aus, blieb nach vorne gebeugt vor der Dusche stehen und beobach- tete, wie das heiße Wasser von ihrer Hand tropfte. Schon bereute sie, dass sie die Stelle nicht zunächst im Waschbecken gereinigt hatte. Denn jetzt konnte sie sich nicht überwinden, mit ihren nackten Füßen in das Duschbecken zu steigen. Zu groß war die Gefahr, dass dort noch etwas von dem ekligen zähen Schleim haften könnte, den sie berührt hatte. Petra drehte das Wasser wieder aus und fischte die Flasche mit Desinfektionsmittel hervor, die sie im Wischeimer hinter der Toilette verstaut hatte. Hektisch verteilte sie deren gesamten Inhalt in der Duschwanne und hoffte, dass das Mittel die giftigen Bakterien zu besiegen vermochte. Der beißende Geruch des Reinigungsmittels stieg ihr in die Nase und verschlimmerte den Schmerz in ihrem Kopf. Die schwarzen Schleier, die sich als regelmäßige Begleiter ihrer Migräne vor ihren Augen ausbreiteten, wurden dichter und verengten ihr Sichtfeld. Petra schwitzte, als sie den Heißwasserhahn abermals aufdrehte und die Duschwanne wieder und wieder ausspülte, bis der ganze Raum von heißem Wasserdampf erfüllt war. Dann drehte sie das Wasser erneut ab, horchte in sich hinein und spürte, dass ihre Haut ebenfalls noch immer verunreinigt war. Sie eilte zum Spiegelschrank, wo sie ein Desinfektionsspray für die Haut verstaut hatte, und besprühte ihren rechten Handrücken damit. Mit einem Waschlappen rieb sie die Stelle gründlich ab, bevor sie den verunreinigten Lappen in den Toiletteneimer warf, einen weiteren zur Hand nahm und das Ritual wiederholte. Sie war furchtbar erschöpft und wollte sich ausruhen, konnte es aber nicht, weil sich der Froschschleim nicht abreiben ließ, sondern auf ihrer Haut brannte und sich über ihren ganzen Körper auszubreiten schien. Sie wusch und schrubbte sich, bis sie völlig erschöpft und weinend auf der Badematte zusammensackte und der Schmerz in ihrem Kopf übermächtig wurde.
Auch an diesem Tag hatten die Schatten der Vergangenheit sie eingeholt.
14. Kapitel
H auptkommissar Theodor Braun war als Leiter des Morddezernats nicht schwer davon zu überzeugen gewesen, die Ermittlungen gegen Jens Asmus zu übernehmen. Er teilte Anna Lorenz’ Auffassung, dass zumindest ein Anfangsverdacht gegen Jens Asmus wegen Mordes bestand.
Petra Kessler hatte sich vehement gegen eine Exhumie rung und Obduktion der Leiche ihrer Mutter ausgesprochen, musste schließlich jedoch einlenken, weil diese Schrit te unter den gegebenen Umständen unumgänglich waren.
Braun erhoffte sich bereits für den Nachmittag erste Ergebnisse aus der Pathologie. Jetzt war er mit Ben Bendt auf dem Weg zu Asmus’ Wohnung, um den Durchsuchungsbeschluss zu vollstrecken, den sie sich soeben vom Amtsgericht geholt hatten und der sich vorläufig auf den Tatverdacht des Diebstahls beschränkte.
Asmus wohnte nach allem, was sie wussten, mit einem Kollegen zusammen in einer Wohngemeinschaft in einer wenig ansprechenden Straße nahe der Altstadt. Die Polizisten holperten mit ihrem Zivilstreifenwagen über das Kopfsteinpflaster der schmalen Gassen, in denen die Zeit seit Jahrhunderten stehen geblieben zu sein schien, und hielten schließlich vor einem etwas heruntergekommenen Stadthaus. »Scheint eine typische Studentenbude zu sein«, bemerkte Ben mit
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