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Gewitterstille

Gewitterstille

Titel: Gewitterstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gladow
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Rollstuhl einlud und Sophie in den Wagen half. Sie winkte ihr nach, als sich das Fahrzeug langsam von ihrem Haus entfernte, doch Sophie hielt den Blick gesenkt.
    »Ist alles in Ordnung?« Der Fahrer des Taxis suchte Sophies Blick im Rückspiegel.
    »Alles bestens.«
    Einen Moment lang hatte Sophie gemeint, Annas Wagen im Rückspiegel entdeckt zu haben, war jetzt aber doch sicher, dass sie sich das nur eingebildet hatte. Anna hatte sie mit dem Angebot, sie zu fahren, in Verlegenheit gebracht. Sie konnte nur hoffen, dass sie ihr den angeblichen Zahnarztbesuch abgekauft hatte. Sie belog Anna nicht gern, denn sie wusste, dass Anna wirklich etwas an ihr lag. Umso schmerzlicher war es, dass der Verdacht gegen Jens ausgerechnet Annas Ermittlungsdrang zu verdanken war.
    Sophie lehnte ihren Kopf gegen die kühle Scheibe des Seitenfensters und schloss die Augen, während sie die Roeckstraße entlangfuhren.
    Es war nicht leicht, Anna aus dem Weg zu gehen, und sie konnte nur hoffen, dass sie schon bald ein neues Leben mit Jens beginnen würde. Obwohl sie sich nach einer gemeinsamen Zukunft mit ihm sehnte, schmerzte sie doch der Gedanke, Lübeck und die Erinnerungen zurückzulassen, die für sie mit dieser Stadt verbunden waren. Sie hoffte, dass Anna sie irgendwann verstehen würde. Sie liebte Jens. Ihm machte es nichts aus, dass sie nicht laufen konnte, dass sie ein Krüppel war. Er verlieh ihr Flügel und gab ihr das Gefühl, hübsch und begehrenswert zu sein. Zwischen ihnen war alles so rasend schnell gegangen, dass es Sophie manchmal fast irreal schien. Sie war ihm mit dem Rollstuhl vor dem Schulklo aus Versehen in die Fersen gefahren. Er hatte anders reagiert, als die Menschen es normalerweise taten, indem sie sich – nur weil sie im Rollstuhl saß – betreten entschuldigten, obwohl sie selbst gar keinen Fehler gemacht hatten. Jens entsprach nicht der Norm. In seinem Ausdruck hatte kein Bedauern gelegen, sondern lediglich Verärgerung darüber, dass sie ihn angefahren hatte. »Pass doch auf, wo du hinfährst!«, hatte er sie angepflaumt, und dann mussten sie beide plötzlich lachen. Sie waren ins Gespräch gekommen, und Sophie hatte sich Hals über Kopf in ihn verliebt. Nur gut, dass Anna nichts von ihren Plänen wusste. Mit Schrecken dachte sie daran, dass sie ihr bei ihrem nächtlichen Imbiss im Garten beinahe alles über Jens erzählt hätte: wie sie sich kennengelernt hatten, wie sich der erste Kuss angefühlt hatte, wie aufgeregt sie bei ihrem Besuch im Casino gewesen war. Zum Glück hatte sie es dann doch nicht gewagt, sich Anna anzuvertrauen. Dennoch hatte sie sich ihr in jener Nacht sehr nahe gefühlt. Sie hatte den Wunsch, über so vieles zu sprechen, vor allem über ihre Mutter. Seit sie bei Anna wohnte, musste sie immer häufiger an sie denken und sich die Frage stellen, weshalb sie einfach gegangen war und sie nicht mitgenommen hatte. Es gab Tage, an denen Sophie ihre Mutter hasste und davon überzeugt war, dass sie kaltherzig und grausam sein musste. Aber manchmal suchte sie auch nach Entschuldigungen und hoffte, irgendein triftiger Grund hätte sie vielleicht daran gehindert, zu ihr zurückzukehren.
    »Wollen Sie hier aussteigen?«
    Sophie zuckte zusammen und merkte erst jetzt, dass der Fahrer rechts an den Straßenrand heranfuhr. Von Annas Haus war es nur ein Katzensprung zur Sparkasse Am Burgfeld.
    »Ja, bitte.«
    Der dicke Mann blickte Sophie freundlich an.
    »Das macht achtzehn Euro.«
    Sophie reichte ihm einen Zwanzigeuroschein.
    »Stimmt so, vielen Dank.«
    Sie war nervös, als sie auf den Eingang der Bankfiliale zusteuerte. Das Geld sollte der Schlüssel sein, der Schlüssel zu einer gemeinsamen Zukunft mit Jens. Sobald sie es in Händen hielt, würde sie direkt zu ihm fahren.

19. Kapitel
    D ie alte Dame wirkte spürbar mitgenommen, während sie Kommissar Braun von ihrem nächtlichen Erlebnis berichtete. Sie saß zusammengekauert auf dem Bett ihres mit Möbeln und Nippes überfüllten Krankenzimmers und starrte auf ihre faltigen Hände, die sich um ein Papiertaschentuch krampften. Obwohl Braun das Fenster geöffnet hatte, gelang es ihm nicht, den nahezu betäubenden Geruch von Kölnisch Wasser aus dem Raum zu vertreiben.
    »Es war furchtbar, einfach unbeschreiblich furchtbar«, wiederholte sie immer wieder. Ein genaueres Bild von dem Täter konnte sie ihm allerdings nicht liefern.
    »Es ist sehr wichtig für uns, dass Sie versuchen, sich zu erinnern, Frau Kramer«, sagte Braun und erwartete doch kaum

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